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Wasserstoff auf der Straße: Marktpotential nur in bestimmten Anwendungen Fortsetzung der NRL-Studienreihe zu Potentialen und Grenzen von grünem Wasser-stoff
Der Straßenverkehr ist das Sorgenkind der Energiewende – obgleich eine Vielzahl alternativer Antriebe bereitstehen. Eine aktuelle Studie des Norddeutschen Reallabors (NRL) beschäftigt sich nun mit dem zukünftigen Platz von Wasserstoff im Verkehrssektor und bescheinigt ihm ökologisch und ökonomisch nur eine eingeschränkte Marktperspektive.
Die Studie setzt den Fokus auf die Antriebswende in der straßenbasierten Mobilität. Bis 2030 soll gemäß den Plänen der Bundesregierung rund ein Drittel aller hier eingesetzten Fahrzeuge auf alternative Antriebe umgestellt werden, bis 2045 soll schließlich der gesamte Straßenverkehr defossilisiert werden. Bislang allerdings mit mäßigem Erfolg: „Der Verkehrssektor ist laut Umweltbundesamt der einzige Sektor, der seine Treibhausgas-Minderungsziele in 2022 nicht nur nicht erreicht hat, sondern sogar noch mehr Emissionen verursacht hat als im Jahr zuvor. Dabei stehen für die benötigte Antriebswende die notwendigen Technologien zur Defossilisierung durchaus bereit, allerdings mit unterschiedlichen Nutzungspotenzialen, wie unsere Studie zeigt“, erklärt Prof. Dr. Jens-Eric von Düsterlho, Leiter des Departments Wirtschaft an der HAW Hamburg. Von Düsterlho leitet die hinter den Veröffentlichungen stehende Arbeitsgruppe des Norddeutschen Reallabors (NRL), einem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und anteilig vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) geförderten Verbundprojekt mit 50 Partnern, die gemeinsam neue Wege zur Klimaneutralität aufzeigen wollen.
Für die Defossilisierung des Straßenverkehrs werden in der Studie neben dem Einsatz von batteriebetriebenen Fahrzeugen und stromgeführten Oberleitungen auch Brennstoffzellenantriebe oder strombasierte synthetische Kraftstoffe betrachtet, die beide auf Wasserstoff als Energieträger basieren. Auf Basis von Literaturauswertungen, Experteninterviews und eigenen Modellierungen untersucht die NRL-Studie, inwiefern ihr Einsatz für ein zukunftsfähiges Verkehrssystem ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist.
H2-Kosten müssten deutlich gesenkt werden
Neben der eingeschränkten Verfügbarkeit von Fahrzeugmodellen, Lieferschwierigkeiten und unzureichender Infrastruktur werden insbesondere die niedrigere Energieeffizienz und der höhere Preis dazu führen, dass grüner Wasserstoff auch in Zukunft nicht so verbreitet sein wird wie rein elektrisch betriebene Fahrzeuge. Die günstigste Energiequelle für den Fahrzeugbetrieb ist elektrischer Strom, der schon heute günstiger als fossile Kraftstoffe ist. Wasserstoff dürfte der Studie zufolge im gewerblichen Kontext an der Tankstelle netto nur rund 5 €/kg kosten, um zum aktuellen Strompreisniveau konkurrenzfähig zu sein. Tatsächlich kostet der aktuell an Tankstellen erhältliche, zumeist graue Wasserstoff derzeit aber noch netto 10,80 €/kg für 350 bar-Nutzfahrzeuge. Für den privaten PKW-Bereich mit dem typischen 700-bar Tank gilt, dass für eine Konkurrenzfähigkeit der aktuelle Tankstellenpreis von brutto 13,85 €/kg auf rund 8 €/kg für rein grünen Wasserstoff gesenkt werden müsste.
Ein Instrument zur Überwindung des Preis-Deltas sind Klimaschutzdifferenzverträge. Über sogenannte „Carbon Contracts for Difference“ zwischen Staat und Unternehmen sollen die Mehrkosten bei den betrieblichen Aufwänden (also bspw. beim Wasserstoffpreis) ausgeglichen werden. „Bislang soll dieses Instrument allerdings beschränkt werden auf die betrieblichen Mehrkosten bei produzierenden Betrieben der Stahl- und Chemieindustrie, die klimafreundliche Produktionsverfahren einsetzen. Es wird daher vielfach die Forderung erhoben, dieses Instrument auch im Sektor Transport und Logistik anzuwenden“, so Peter Lindlahr, Geschäftsführer der hySOLUTIONS GmbH und Leiter der Arbeitsgruppe „Mobilität“ im Norddeutschen Reallabor. Damit könnten Energie-Mehrkosten in den Anwendungsbereichen ausgeglichen werden, in denen ein Brennstoffzellen-Hochlauf gefördert werden soll.
Ein weiterer Anreizmechanismus für den Einsatz von grünem Wasserstoff im Verkehrssektor ist das umweltökonomische Instrument der Treibhausgas-Minderungsquote, das Zusatzerlöse von aktuell rund 9 €/kg für die öffentliche Inverkehrbringung von grünem Wasserstoff ermöglicht. Inwieweit diese Zusatzerlöse in Form von Preissenkungen an den Kunden weitergegeben werden, bleibt abzuwarten.
Potentieller Einsatz im Nutz- und Schwerlastverkehr
Die Studie bestätigt die Einschätzung, dass es sowohl im PKW-Bereich als auch im leichten Nutzfahrzeugbereich bereits ein breites Angebot an batteriebetriebenen Fahrzeugen gibt, die sowohl in der Anschaffung als auch im Betrieb gegenüber einem fossilen Verbrennungsmotor wirtschaftlich sind. „Dass Brennstoffzellen-Fahrzeuge den Vorsprung in diesen Fahrzeugklassen noch aufholen werden, erscheint unwahrscheinlich und ist – wegen der geringeren Energieeffizienz – aus gesamtsystemischer Energiewendeperspektive auch nicht sinnvoll“, betont Studienautor Jonas Bannert vom Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der HAW Hamburg.
Anwendungsfälle für Wasserstoff in der straßenbasierten Mobilität werden eher in reichweite-, volumen- und gewichtssensiblen Anwendungsbereichen gesehen wie beispielsweise dem Schwerlastverkehr oder aber bei Nutzfahrzeugen mit einem energieintensiven Arbeitsaggregat (z. B. Abfallsammelfahrzeuge oder Kühlfahrzeuge). Allerdings sind wasserstoffbetriebene Fahrzeuge laut der NRL-Studie auch hier nur als eine der möglichen Antriebsvarianten zu werten, da auch für Nutzfahrzeuge und Schwerlasttransporter Oberleitungen oder insbesondere der Einsatz von weiterentwickelten Batterie-Fahrzeugen denkbar sind.
Mit einer Konzentration auf den Einsatz von wasserstoffbasierten Antrieben im Schwerlast- und Nutzfahrzeugverkehr ginge auch die Notwendigkeit einher, den Ausbau von Wasserstoff-Tankstellen mit 350 bar gegenüber 700 bar zu priorisieren, um entsprechende Fahrzeugflotten auch betanken zu können, so die Studie weiter. Den Ausbau von 700-bar-Tankstellen für die PKW-Betankung empfiehlt die Studie vor dem Hintergrund erwartbar geringerer Auslastung dagegen zu begrenzen.
H2-Bedarf in der NRL-Modellregion
Für die norddeutsche Modellregion des NRL prognostiziert die Studie, dass der Wasserstoff-Anteil im straßenbasierten Verkehrssektor bis 2030 nicht mehr als drei Prozent aller erneuerbaren Antriebe ausmachen wird. Der errechnete jährliche Wasserstoffbedarf für den Verkehrssektor beträgt dann 4.000 Tonnen, für 2045 wird mit maximal sieben Prozent und 32.000 Tonnen gerechnet.
Bundesweit sind bislang rund 2.140 Brennstoffzellenfahrzeuge zugelassen. Im NRL selbst werden bis 2026 insgesamt bis zu 200 Brennstoffzellenfahrzeuge verschiedener Nutzungsklassen erprobt – unter anderem als Abfallsammelfahrzeuge oder als Gepäcktransporter. Initiiert und koordiniert werden die Aktivitäten von der NRL-Arbeitsgruppe „Mobilität“ unter Leitung der hySOLUTIONS GmbH, die sich als Innovationstreiber für die Umsetzung der Mobilitätswende im Norden versteht.
Studienreihe zu Potentialen und Grenzen von grünem Wasserstoff
Die Mobilitätsstudie ist Teil einer umfassenden Studienreihe mit dem Titel „Potentiale, Grenzen und Prioritäten – Grüner Wasserstoff für die Energiewende”, die im Rahmen der NRL-Arbeitsgruppe „Neue Märkte, Geschäftsmodelle & Regulatorik“ entsteht. Durch techno-ökonomische Betrachtungen werden relevante H2-Technologien in Hinblick auf ihre Potentiale und Grenzen bewertet und daraus Prioritäten für den zukünftigen Einsatz von grünem Wasserstoff abgeleitet. Den Auftakt machte eine Veröffentlichung zum Einsatz von Wasserstoff im Gebäudesektor (Februar 2022), es folgen weitere Teile zur industriellen Nutzung von grünem Wasserstoff, zur Wasserstofferzeugung sowie zum Sektorenvergleich.
Alle Studien werden unter www.norddeutsches-reallabor.de/presse#studien bereitgestellt.