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Nordlichter machen Energiewende Interview mit Projektleiter Thorsten Meyer der Stadtwerke Norderstedt
Thorsten, du erprobst die Machbarkeit eines dynamischen Tarifmodells für Haushaltskunden. Wozu das?
Wenn wir uns alle in Deutschland auf die Fahnen geschrieben haben, unser Energiesystem zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien auszurichten, müssen wir auch den nächsten Schritt gehen. Dieser Schritt lautet ein dynamisches Energiesystem zu schaffen. Denn die Erneuerbaren sind wetterbedingte Energieträger und deshalb stark volatil.
Mal wird viel grüner Strom produziert und dann wieder weniger, je nachdem wie viel Wind weht oder wie stark die Sonne scheint. An diese Gegebenheit sollte sich in einem flexiblen Energiesystem auch der Verbraucher anpassen können. Rund 25 Prozent des Strombedarfes in Deutschland entfällt auf die privaten Haushalte. Das Potenzial zur Lastverschiebung ist in diesem Sektor also groß.
Daher ging es im Rahmen des Projekts zwei Komponenten zu erforschen. Erstens, die technische Realisierbarkeit und zweitens, die soziologische Verwendbarkeit. Letzteres basiert auf der Frage, wie man Menschen dazu motivieren kann, ihr Verhalten zum Stromverbrauch so zu verändern, dass sie dann erneuerbaren Strom beziehen, wenn gerade auch viel davon im Umlauf ist. Das lässt sich entweder durch Bestrafungen oder Belohnungen umsetzen. Ich halte zweiteres für viel sinnvoller. Denn wenn sich Menschen ökologisch oder klimafreundlich verhalten, sollten sie dafür nicht mehr zahlen, als andere.
Wie lässt sich das bewerkstelligen?
In der Entstehungsphase des Projekts haben wir uns zunächst auf die technischen Alternativen fokussiert. Damit unsere Testkunden auch wissen, wann gerade viel Ökostrom in die Netzte drängt, brauchte es eines intelligenten Kommunikationssystems.
Da lag es nahe uns als Stadtwerke Norderstedt mit unserer Tochterfirma WilhelmTel, die das gesamte Glasfasernetz in der Stadt ausgelegt hat, zusammen zu tun, um nach Möglichkeiten zu suchen, über die Telekommunikationsbranche den Energiesektor zu steuern. Ich habe mir dafür sämtliche Smart-Home-Artikel, die auf dem Markt angeboten werden, angeguckt und im Testlabor gemeinsam mit meinem Team an einer passenden Systemintegration getüftelt. Im Endergebnis haben wir uns für das System von „homee“ entschieden, wo die Kunden zusätzlich noch vier intelligente Steckdosen von AVM erhalten, die wir als Stadtwerke beliebig an- und ausschalten können. Über eine App werden die Testpersonen per Push-Nachricht informiert.
Neben der rein technischen Komponente, mussten auch alle rechtlichen Fragen rund um den Datenschutz geklärt, aber auch ein rundes Rechnungswesen etabliert werden, das alle Testkunden erfasst und nach dem Projektzeitlauf auch wieder – möglichst automatisch – „entlässt“.
Darüber hinaus stand natürlich die Frage im Raum, wie wir unsere Kunden motivieren wollen, just zu Peak-Zeiten ihre Elektrogeräte, wie Waschmaschine, Trockner, Geschirrspüler, Staubsauger und Co., zu bedienen. Unserer Erfahrung nach ist der deutsche Kunde konservativ und Neuem gegenüber skeptisch. Daher war uns schnell klar, dass wir einen attraktiven finanziellen Anreiz geben müssen.
Statt 30 Cent die Kilowattstunde bieten wir den Forschungsteilnehmern daher 5 Cent die Kilowattstunde an. Voraussetzung ist natürlich, dass sie sich an die Vorgaben des Forschungsprojekts - Teilnahme an Umfragen und Auswertungen - halten.
Klingt nach einem sehr komplexen Projekt mit vielen Komponenten. Wie sieht ein normaler Arbeitsalltag für dich aus?
Heute sieht mein Alltagstrott anders aus als in der Entstehungsphase. Nach der Konzipierung des Projekts, das von der Produktentwicklung über das Rechnungswesen und Marketing die gesamte Klaviatur einer unternehmerischen Tätigkeit beinhaltete, folgte die Kundenakquise. Wir mussten ja insgesamt 1.000 Testkunden für das Forschungsprojekt gewinnen. Die ersten 800 Kunden fanden sich schnell. Sie fanden sich dank zahlreicher Workshops auch gut in die Komplexität des Projekts ein. Die letzten 200 dagegen, konnten nur sehr mühsam dazugeschaltet werden.
Woran lag das?
Es macht überwiegend die „ältere Generation“ mit: rund 70 Prozent der am Projekt Beteiligten sind über 60 Jahre alt. Sie haben mehr Zeit, sich mit den Details und Anforderungen des Projekts zu beschäftigen. Auch wollen sie für ihre Kinder und Enkel mit gutem Beispiel voran gehen. Im Vergleich sind die Jüngeren, insbesondere wenn sie Familie haben, wesentlich eingebundener, und deswegen wohl auch weniger bereit dazu, sich an zeitliche Vorgaben zu halten. Sie waschen ihre Wäsche eben dann, wenn sie Zeit finden und nicht dann, wenn viel Wind weht. Deshalb war es am Ende schwieriger mehr Testkunden dazuzugewinnen. Doch mit viel Engagement und einer guten Kommunikationsstrategie hat es schlussendlich funktioniert, und darauf kommt es an. Mittlerweile läuft das Projekt auch sehr erfolgreich und hat uns gute Erkenntnisse gebracht.
Was sind deine drei Kernerkenntnisse des Projekts?
Erstens, dass es keine große technische Hürde dargestellt hat, dynamische Stromtarife für private Haushalte anzubieten. Zweitens konnten wir prüfen, dass es möglich ist, durch monetäre Anreize das Konsumverhalten von privaten Stromverbrauchern zu verändern. Drittens, dass es trotz allem mit vielen Herausforderungen verbunden war, Testkunden zu akquirieren. Das hat mich gewundert. Denn es wird sich viel über zu hohe Strompreise beschwert, und obwohl wir einen so attraktiven Strompreis angeboten haben, sträubten sich viele mitzumachen. Irgendwie widersprüchlich.
Es bestehen also nach wie vor die eine oder andere Herausforderung?
Mit unserem Projekt und den daraus resultierenden Ergebnissen verhelfen wir hoffentlich der deutschen Bundesregierung dazu, über die Einführung dynamischer Stromtarife ernsthafter nachzudenken.
Das es technisch geht und Menschen auch grundsätzlich zu Verhaltensänderungen bereit sind, konnten wir nachweisen. Wenn es sich wirtschaftlich lohnen soll, muss sich aber die ganze Regulatorik ändern.
Doch nicht nur die Politik ist hier gefragt. Der ganze Energiesektor muss sich wandeln und nicht darauf warten, dass die Bundesregierung etwas vorschreibt oder einführt. Ich würde mir für die doch eher stark konservative Energiebranche mehr Innovationsgeist und Tatendrang wünschen.
Was ist deine persönliche Vision für Norddeutschland 2050?
In den letzten 30 Jahren haben wir rund 3.000 Windräder gebaut und angeschlossen. Wenn wir uns aber jetzt komplett von Atom- sowie Stein- und Kohlekraft lösen wollen, brauchen wir in einem Drittel der Zeit dreimal so viele Windräder. Wenn uns dieser Ausbau gelingt und es mit dem Trassenbau aber nicht vorangeht, werden wir immer mehr erneuerbare Energie produzieren, die nicht verbraucht werden kann.
Es kann nicht sein, dass wir hier oben im Norden Windräder abschalten müssen und im Süden des Landes Atomstrom in Frankreich einkaufen. Daher muss ein einheitliches Energiekonzept her. Die Politik ist mehr denn je gefragt.
Wie geht es nach dem Projekt NEW 4.0 für Dich weiter?
Meine Arbeit bei den Stadtwerken Norderstedt macht mir Spaß. Ich bin glücklich. Man kann über die Stadtwerke sagen was man möchte, zum Beispiel, dass es sich um einen „konservativen Beamtenladen“ handeln würde. Das ist aber nicht so. Zumindest gilt das nicht für die Stadtwerke Norderstedt. Wir sind ein sehr dynamisches Unternehmen. Auch wenn wir zur Stadt gehören, sind wir für uns selbst verantwortlich und dementsprechend agieren wir auch so.
Deshalb freut es mich, dass ich auch mit Abschluss von NEW 4.0 bei den Stadtwerken Norderstedt bleibe. Ich wechsle zum Produkt- und Innovationsmanagement. Wir planen auch, uns um neue Forschungsprojekte zu bewerben, diesmal mit dem Fokus auf Elektromobilität. Hier sehen wir viel Potenzial für Technik, Preis- und Mitgestaltung sowie die Schaffung neuer Geschäftsfelder.