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Net Zero – und dann? Warum es nicht reicht, Emissionen zu reduzieren

Net Zero – und dann?
Bereits ausgestoßenes CO2 verbleibt auch bei Klimaneutralität in der Atmosphäre. Ohne CCS heizt sicher der Planet weiter auf. Credit: EEHH GmbH/Jörg Böthling

Diplom-Ingenieur und EEHH-Vorstand Jörg Spitzner arbeitet in seinem Unternehmen an einer eigenen containerbasierten Lösung für Direct Air Capture: BLANCAIR und beschäftigt sich seit vielen jahren mit dem Thema.

  • Herr Spitzner, warum ist es wichtig, dass wir die Speicherung des atmosphärischen CO2 jetzt bereits angehen?

    Je früher wir anfangen, das CO2 der Atmosphäre wieder zu entnehmen, je besser. Bislang stand die Transition zur CO2-neutralen Wirtschaft mittels Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Sektorenkopplung im Fokus. Die öffentliche Diskussion um „Direct Air Capture (DAC)“ fängt gerade erst an, aber ohne CCS sind die Klimaziele der Bundesregierung und auch international nicht zu erreichen.
  • Wie unterscheidet man DAC von Carbon Capture and Storage (CCS)?

    Bei DAC wird CO2 aus der Umgebungsluft herausgefiltert. Das ist energieintensiv, da die Konzentration des Gases in der Luft mit einem Anteil von 0,04 Prozenr gering ist. Das ist der erste Schritt. Um das CO2 dem Kreislauf langfristig zu entnehmen, wird beim anschließenden CCS das Gas mineralisiert, z.B. also mit Wasser in Basalat verpresst und damit permanent unter der Erde gelagert. Die Industrie dahinter ist noch sehr jung, weshalb dieses Verfahren noch im Versuchsstadium ist.
    Das CCS an sich ist dennoch nicht neu, in der Vergangenheit wurde es von der Ölindustrie genutzt, um die Ausbeute zu erhöhen. Die Sicherheit dieser Art CCS, bei der das
    CO2 gasförmig in die Erde gepresst wird, ist sehr fragwürdig in Hinblick auf die dauerhafte Speicherung. Derzeit gibt es weltweit eine Vielzahl an Pilotanlagen, die CO2 permanent abspeichern und damit dem Kreislauf komplett entnehmen. Es wird noch viel Technologie entwickelt, das sind alles erste Schritte.

  • Wie ist der aktuelle Stand der technischen Möglichkeiten bei DAC?

Die Technologie ist grundsätzlich bekannt, je nach Anwender mit verschiedenen technologischen Ansätzen. Es gibt allerdings lediglich eine Hand voll Firmen auf der ganzen Welt, die DAC-Technologien anbieten.
Die erforderliche Skalierung, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, ist allerdings noch schwierig, weil die Notwendigkeit von DAC noch nicht die Politik erreicht hat. Die Erhaltung der Versorgungssicherheit genießt derzeit höhere Priorität.

  • Was macht man mit dem CO2? Wo kann es gespeichert bzw. wie kann es umweltfreundlich verwendet werden?

    Es gibt zwei Wege, das reine, gasförmige CO2 weiterzuverwenden: Beim ersten wird nach dem DAC das CO2 im Kreislauf behalten. Es ist beispielsweise anwendbar in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, interessanter ist aber die Herstellung synthetischer Kraftstoffe. Das nennt man Carbon Capture and Utilization (CCU). Durch die Synthetisierung des CO2 mit Wasserstoff mittels des Fischer-Tropsch-Verfahrens kann z.B. der Flugzeugtreibstoff Jet Fuel hergestellt werden. Dies ist aber wie gesagt nur eine Umwandlung, der Kohlenstoff verbleibt im Kreislauf und gewährleistet zumindest eine klimaneutrale Mobilität. Für CCS mineralisiertes CO2 wird komplett dem Kreislauf entnommen. Dafür können dann Zertifikate ausgestellt werden, welche heute schon einen sehr hohen Wert haben. Das ist bereits ein Business Case.

  • Wie könnte das im großen Maßstab, also international funktionieren?

    In diesem Jahrzehnt noch wird dieses DAC-Business weiter industrialisiert werden, denn der Druck aufgrund des fortschreitenden Klimawandels ist enorm hoch. Die Internationale Energieagentur (IEA) sieht vor, das bis 2030 bereits 1,6 Gigatonnen CO2 der Atmosphäre entnommen werden soll. Das ist das Äquivalent dessen, was sechs Millionen BLANCAIR-Container im Jahr schaffen können. Ab 2050 sollen es sogar ca. acht Gigatonnen jährlich sein, davon 4,5 durch DAC. In 300 bis 500 Jahren würden die Wälder es vielleicht alleine schaffen, das Klima zu stabilisieren. Doch so lange können wir nicht warten.

 

There are currently 18 direct air capture plants operating worldwide, capturing almost 0.01 Mt CO2/year, and a 1 Mt CO2/year capture plant is in advanced development in the United States. In the Net Zero Emissions by 2050 Scenario, direct air capture is scaled up to capture almost 60 Mt CO2/year by 2030. This level of deployment is within reach, but will require several more large-scale demonstration plants to refine the technology and reduce capture costs.

Internationale Energieagentur
  • Kann man überall CO2 aus der Atmosphäre ziehen oder gibt es besonders geeignete Standorte?

Das CO2 ist in der Atmosphäre gleichmäßig verteilt, was uns einen Vorteil bringt: Wir gehen dahin, wo die Energie günstig ist und erneuerbare Energien angeboten werden.
Wir wissen heute noch nicht in welchen Regionen das CCS am Besten funktioniert: Das wird sich erst in Zukunft entscheiden, denn wir wissen es noch nicht genau welche Prozesse beispielsweise in warmem oder kaltem Klima besser arbeiten.

  • Stichwort natürliches CCS: Wie groß schätzen Sie das Problem bisher gespeicherter Treibhausgase ein, wie in Permafrostböden, Wäldern, Mooren, Seegraswiesen oder Kohlenwasserstoffen im Meeresboden am Kontinentalschelf, die zunehmend entweichen? Könnten wir bereits den Point of no return überschritten haben?

    Wann es einen Kipppunkt geben könnte, ist kontrovers. Die Übersäuerung der Meere durch mehr gelöstes CO2 bedeutet nicht nur ein Massensterben von Mikroorganismen, sondern wirkt sich auch auf Meeresströmungen aus und gefährdet beispielsweise den Golfstrom. Die Polschmelze ist bereits unaufhaltsam. Wir müssen diesen komplexen Prozess verstehen und die DAC-Technik weiterentwickeln. Sie stellt eine Schlüsselrolle gegen den Klimawandel dar.

  • Sie arbeiten bereits als Pionier an einem eigenen Produkt. Was ist das technische Prinzip?

    Der BLANCAIR Reaktor sieht ein wenig wie ein Triebwerk aus, welches Luft durch einen Filter saugt. Der Adsorber bindet das CO2 Zur Desorption erwärmen wir den Adsorber und in einem Vakuum wird das CO2 dem Filter wieder entnommen. Ein Zyklus dauert etwa eine Stunde. Die Filter arbeiten reversibel ohne nennenswerte Alterung. Das CO2-Gas, das dabei rauskommt, kann für industrielle Prozesse oder zur Speicherung verwendet werden.

  • Welche technische Reife habt ihr?

Derzeit fertigen wir den ersten Serienprototypen, welcher Mitte 2023 in den Testlauf geht und zum Ende des Jahres nach Brasilien für ein gemeinsames CCS-Projekt ausgeliefert wird.

  • Welchen Kundenkreis/welche Märkte habt ihr im Blick?

    Wir starten mit Forschungseinrichtungen in Kooperation mit einem europäischen Mineralölunternehmen, die sich mit der synthetischen Kraftstoffherstellung und CCS befassen. Wir werden bereits jetzt stark angefragt, können aber noch nicht liefern, da wir noch ein Start-Up sind. Wir bekommen einzelne Anfragen für bis zu 1700 BLANCAIR-Container.
  • Wie sieht euer Zeitplan aus?

Die Testphase des Prototypen wird ein halbes Jahr dauern, der erste Seriencontainer wird  Mitte 2024 ausgeliefert. Manche Wettbewerber bieten heute schon kommerzielle Lösungen an, doch angesichts der Gesamtaufgabe und des jungen Marktes gibt es keine unmittelbare Konkurrenz. Wir brauchen vielmehr alle geeigneten technologischen Ansätze im Kampf gegen den Klimawandel!

Im Interview

Jörg Spitzner, CEO DACMa GmbH, über die Herausforderungen bei Direct Air Capture (DAC) und Carbon Capture and Storage (CCS).

Über Oliver Schenk

Profilbild zu: Oliver Schenk

Ich bin verantwortlich für den Bereich Marketing Wasserstoff und sorge dafür, dass die hiesigen Projekte und Formate in der Metropolregion Hamburg und darüber hinaus wahrgenommen werden. Um dem vielversprechenden Energieträger zum Durchbruch zu verhelfen unterstütze ich die Wasserstoffwirtschaft mit redaktionellen Beiträgen, Netzwerkveranstaltungen, Videoproduktionen und vielem mehr.

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