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Kommentar zum Koalitionsvertrag - Interview mit Jan Rispens Bewertung der Energie- und Industriepolitik

Kommentar zum Koalitionsvertrag - Interview mit Jan Rispens
Der Titel des Koalitionsvertrages von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP.

Lieber Herr Rispens, was ist Ihr erster Eindruck vom Koalitionsvertrag? Was war die größte Überraschung?

Man sieht, dass hat man die Herausforderung, aber auch die Chance bei der Transformation des Energiesystems endlich verstanden hat. Diese Transformation wird man nun anpacken mit einem klugen Instrumentenmix. Daraus ergibt sich für Deutschland die Chance, bei der Dekarbonisierung ganz vorne mit dabei zu sein und damit auch Exportmärkte aufzubauen.

Überrascht war ich im Bereich Wasserstoff – das neue Ausbauziel für zehn Gigawatt heimischer Elektrolysekapazität bis 2030 verrät eine deutliche Verschiebung der Prioritäten: weg vom starken Importfokus auf die Vor-Ort-Produktion. Das finde ich gut, da es sinnvoll ist erst national Erfahrung mit der Wasserstoff-Wertschöpfungskette zu sammeln.

Die zweite Überraschung: Die Quoten für grünen Wasserstoff in der öffentlichen Beschaffung. Das kann ein sehr wirkungsvolles Instrument sein, um die Nachfrage zu erhöhen und ungemein helfen beim Markthochlauf. Es ist offen, welche Bereiche der öffentlichen Hand gemeint sind, da ist Raum für Interpretationen. Meiner Einschätzung nach wird das in erster Linie Verkehrsbetriebe, kommunale Energieversorger und Stadtwerke betreffen. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass der größte Teil des Marktes für Wasserstoff in der Realität in der Industrie sein wird, daher ist die Hebelwirkung der Quote möglicherweise nicht so immens wie erhofft. Es ist ein mutiges Instrument, das im Stromsektor in Großbritannien bereits erfolgreich angewendet wurde, aber die viel größeren Abnahmemengen sind in der Privatwirtschaft zu erwarten.

Das Ausbauziel für Strom aus erneuerbaren Energien von 80 Prozent bis 2030 – stimmt Sie das euphorisch oder kritisch?

Euphorisch nicht, aber das ist angemessen zu den Pariser Klimazielen. Das war überfällig, die Anpassung wäre schon Aufgabe der letzten Bundesregierung gewesen. Der Stromsektor hat eine Vorläuferfunktion, was sich bei der höheren Grünstromquote auswirken muss.

Gibt es andere Bereiche, die Ihre Skepsis erregen, wie etwa die Verfahrensbeschleunigung bei Onshore-Wind?
Skepsis will ich das nicht nennen, aber das ist mühevolle Arbeit, die zudem in großem Maße bei den Bundesländern liegt. Der Ansatz ist aber ehrenwert, genau wie Regelung, zwei Prozent der Landesfläche für den Ausbau der Windenergie auszuweisen. Bund und Länder müssen nun einen Mechanismus vereinbaren, damit das zu Stande kommt. Als Kernproblem sehe ich nicht lange Genehmigungsverfahren, sondern dass die Projekte bisher zeitaufwendig durch alle Instanzen beklagt werden können. Hier muss eine höhere Instanz wie die Oberlandesgerichte den Einstieg bilden, die sich dann auch auf diese Fälle spezialisieren können. Und die Gerichte müssen dann auch ausreichend Personal haben, um die Verfahren zu beschleunigen.

Neu ist der Klimaschutz als neue Maßgabe für alle politischen Entscheidungen auch jenseits der Kernbereiche von Klima- und Umweltministerium („Klimacheck“ genannt) – verbinden Sie damit konkrete Hoffnungen in anderen politischen/gesellschaftlichen Bereichen?
Auf jeden Fall, bisher hatten Kanzleramt und Finanzministerium die Oberhoheit. Nun kommt ein zweiter Mechanismus hinzu, der auch in den anderen Bereichen wie Verkehrs-, Familien- und auch Steuerpolitik Klimaauswirkungen quantifiziert und prüft. Das schafft hoffentlich auch mehr Verbindlichkeit.

Gehen wir in die Details: Welche Werkzeuge und Maßnahmen finden Sie begrüßenswert?
Man kann erkennen, dass die CO2-Bepreisung für die Koalition höchster Stellenwert hat und hohe Priorität genießt. Die Einnahmen sollen die EEG-Umlage zum 1.1.2023 ersetzen – das ist eine sehr gute Sache, auf die wir lange gewartet haben. Die Sozialkomponente halte ich persönlich für wichtig, dass also die Mehrbelastung von den einkommensschwachen Haushalten weggenommen wird. Das hilft zudem, Akzeptanz zu schaffen. Auch sinnvoll finde ich die Kombination des CO2-Preises als zentrales Steuerungselement mit den Carbon Contracts for Difference (CCfD), also die Förderung der Differenzkosten, wenn grüne statt fossiler Energie in Produktionsprozessen eingesetzt wird. Diese Maßnahme ist wichtig, um die Energieabnehmer mitzunehmen und die Preisdifferenz für einen Übergangszeitraum abzufedern. Das gibt den Unternehmen einen Anreiz jetzt zu investieren, um später niedrigere Vemeidungskosten zu haben. Das ist ein eleganter Mechanismus, der eine große Wirkung entfalten kann, wenn man es richtig macht.

Was bedeuten die Ziele für die verschiedenen Sparten der Erneuerbare Energien-Industrie?
Das Ziel für die Solarindustrie von 200 Gigawatt bis 2030 ist ambitioniert, aber nicht übermäßig. Die Solarpflicht auf gewerblichen Neubauten ist ein guter, überfälliger Punkt. Hier wird sich der Aufschwung der letzten zwei bis drei Jahre fortsetzen. Will man die Ausbauziele erreichen, müssen aber auch die Quartierslösungen, Eigenverbrauchs- und Mieterstromkonzepte funktionieren, die Im Koalitionsvertrag nur am Rande erwähnt werden.
Bei der Windenergie wird es nicht von heute auf morgen eine wahnsinnige Beschleunigung im Onshore-Bereich geben, aber es wird merklich bergauf gehen. Für Onshore-Entwickler sind die Ausweisung neuer Flächen und vereinfachtes Repowering ein klares Bekenntnis zur Stärkung der Branche.
Das Signal für Offshore ist insgesamt absolut positiv. Dort hat das vorgezogene Ausbauziel von 40 Gigawatt bis 2035 eine große Wucht – bisher war dieser Ausbau für 2040 geplant.  Das ist ein gutes Zeichen, und auch die hohen Ziele von nun 30 Gigawatt bis 2030 statt zuvor 20 sind begrüßenswert. Doch es ist fraglich, ob die Zeit reicht, um die Netzanbindung bis dahin aufzubauen. Das spätere politische Ziel bis 2035 ist als sehr gut zu bewerten, aber das nähere Ziel zu schaffen halte ich für sehr, sehr ambitioniert. Entscheidend wird sein, wie schnell man die Stromnetzinfrastruktur ausbauen kann. Die jetzigen Netzausbaupläne für Offshore-Wind müssen sofort geändert werden. Das wird viel Druck für die Genehmigungsbehörden und Netzbetreiber bedeuten.
Das Kapitel Wärme ist relativ wenig präsent. Die avisierte klimaneutrale Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien von 50 Prozent bis 2030 ist ein Quantensprung von derzeit ca. 15 Prozent, der aber leider nicht mit Maßnahmen unterfüttert ist. Es werden beispielsweise keine Verbote vom neuen Einbau Gas- und Ölheizungen genannt. Ich nehme an, dass dies Teil des überarbeiteten Klimaschutzgesetzes sein wird. Eine detailliertere Konkretisierung muss und wird voraussichtlich folgen.

Die bereits von der alten Bundesregierung genannte Vision von Deutschland als „Leitmarkt für Wasserstofftechnologien bis 2030“ scheint sich fortzusetzen. Reichen die Zielvorgaben, um der Wasserstoffwirtschaft zum Markthochlauf zu verhelfen? Was muss gegebenenfalls zusätzlich passieren?
Wasserstoff wird 28-mal genannt, nicht nur im Energie-, sondern auch im Industriekapitel. Der industriepolitische Ansatz der Dekarbonisierung geht als klares Ziel aus dem Vertrag hervor. Für mich ist das ein Paradigmenwechsel, weil die amtierende Bundesregierung in der nationalen Wasserstoffstrategie nur halb so viel Elektrolyseurleistung – nämlich fünf statt zehn Gigawatt– geplant hat. Früher lag der Fokus auf 80 bis 90 Prozent Import des Wasserstoffs bis 2030. Das habe ich nicht nachvollziehen können, da auch Länder mit besseren erneuerbaren Stromerzeugungsbedingungen die Wasserstofftechnik erst etablieren müssen. Nun ist die große Priorität erkennbar, grüne Wasserstofftechnologie in Deutschland zu entwickeln und einzusetzen. Ergo wollen wir nun in diesem Jahrzehnt die ganze Technologie- und Wertschöpfungskette hier bei uns aufbauen, prüfen und exportfähig machen. Aus der priorisierten Umsetzung der IPCEI-Projekte spricht zudem, dass hier offene regulatorische Baustellen erkannt wurden. Das ist offenkundig kein Selbstläufer. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass die zweite große Baustelle für die Wasserstoffwirtschaft die EU mit dem delegated act bleibt, der aktuell in den Entwürfen viel zu restriktiv ist und einen Markthochlauf eher verhindert als ermöglicht.

Wo gehen Ihnen die Ziele trotz allem nicht weit genug?
Der Stellenwert und die Gewichtung der Klimaaspekte ist klar und positiv. Kritisieren kann man die fehlende Ausführlichkeit zur Wärmeversorgung, da ein Drittel der nationalen CO2-Emmissionen auf ihr Konto geht. Dieser Teil muss noch stärker mit Maßnahmen ausgearbeitet werden.

 

Über Jan Rispens

Profilbild zu: Jan Rispens

Seit Gründung in 2011 ist Jan Rispens, als gelernter Elektrotechnik-Ingenieur, Geschäftsführer der EEHH Clusteragentur und seit 20 Jahren aktiv im Bereich nachhaltige Energieversorgung und Klimaschutz.

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