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Innovation und Nachhaltigkeit bei Offshore-Wind Über recyclebaren Rottorblätter, innovative Fundamenttechnologien und umweltfreundliche Installationsverfahren
EEHH: Was hat Siemens Gamesa dazu bewegt, weltweit die ersten recycelbaren Rotorblätter auf den Windmarkt zu bringen? Welche Bedeutung hat dieser Schritt im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens?
Marc Becker: Wir wollen beim Thema Nachhaltigkeit vorangehen. Dazu gehört, dass wir auch einen Blick auf unseren eigenen Energie- und Ressourcenverbrauch werfen. Deshalb haben wir uns von der Science Based Targets Initiative bestätigen lassen, dass unsere Emissionsreduktionsziele bis 2025 dem ehrgeizigsten 1,5°C-Szenario entsprechen. Bis 2040 wollen wir entlang der gesamten Wertschöpfungskette unsere Emissionen auf Null senken und gleichzeitig wollen wir bis dahin unsere Turbinen komplett recyceln können. Bei vielen Materialien wie Stahl oder Kupfer ist das heute bereits kein Problem. Aufgrund der Konstruktionsweise der Rotorblätter, wo verschiedene Materialien durch ein Harz miteinander verbunden werden, war dies bislang eine Herausforderung, die wir nun mit dem RecycableBlade gelöst haben.
EEHH: Im Vergleich zu bisherigen Rotorblättern, welche Innovation steckt in dem neuen und wiederverwertbaren Modell und welche Vorteile entstehen für die Windindustrie (z.B. Projektentwickler/Anlagenbetreiber)? Wie werden die Materialien verwertet, wenn die Rotorblätter das Ende ihrer Nutzungsdauer erreicht haben?
Marc Becker: Wir verwenden beim RecyclableBlade ein neues Harz, das sich am Ende des Lebenszyklus des Rotorblatts in einer milden Säure einfach auflösen lässt. Die verschiedenen Materialien im Blatt wie Glasfaser- und Holzkomponenten lassen sich dann einfach voneinander trennen und können dem Stoffkreislauf wieder zugeführt werden. Es können beispielsweise Koffer oder Gehäuse für Monitore aus dem wiedergewonnenen Material gebaut werden. Das schöne ist, der Produktionsprozess bleibt derselbe und die Materialeigenschaften des neuen Harzes sind höher als die des alten. Die Anlagenbetreiber profitieren, weil sie ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren und am Ende der Lebensdauer, wenn sie die Anlagen zurückbauen müssen, keinen Müll produzieren, sondern wertvolle Rohstoffe zurückbekommen.
EEHH: Wie kommt es dazu, dass die kommerzielle Erstnutzung der recycelbaren Rotorblätter im Offshore-Windpark Kaskasi stattfindet? Wie viele Windturbinen werden damit ausgestattet?
Sven Utermöhlen: Im Bereich Offshore-Wind gehört RWE zur Weltspitze. Mit Kaskasi entsteht derzeit unser sechster Windpark vor der deutschen Küste. Als Teil der Gesellschaft und als weltweit agierender Offshore-Akteur sind wir uns aber auch der Verantwortung bewusst, die damit einhergeht: Etwa beim Schutz der Meeresumwelt während des Baus und Betriebs unserer Anlagen, oder auch der Wiederverwendung von Materialien und Ressourcen am Ende der Betriebsdauer sowie der Vermeidung von Abfällen. Auch hier ist unser Anspruch, Vorreiter zu sein. In unserem Offshore-Windpark Kaskasi nördlich von Helgoland setzen wir weltweit zum ersten Mal die recycelbaren Rotorblätter von Siemens Gamesa unter Betriebsbedingungen ein. Etwa 85 bis 90 Prozent einer Windturbine sind heutzutage schon recycelbar. Die Rotorblätter sind bezogen auf das Gewicht also das wichtigste Bauteil, das dabei bislang noch gefehlt hat.
Insgesamt drei Turbinen statten wir mit den RecycableBlades aus und monitoren diese kontinuierlich. Dies ist ein entscheidender Schritt, um die Nachhaltigkeit von Windkraftanlagen auf die nächste Stufe zu heben und langfristig nur noch vollständig kreislauffähige Turbinen zu produzieren und einzusetzen. Auch für das Erreichen der Klimaneutralität hilft es, Materialien stofflich wiederzuverwerten. Der Windpark Kaskasi entsteht in direkter Nachbarschaft zu unseren Offshore-Windparks Nordsee Ost und Amrumbank West. Wir kennen also das Baugebiet gut und haben auch bereits umfangreiche Betriebserfahrung gesammelt. Das sind gute Voraussetzungen für unsere Forschungsprojekte und Pilotanwendungen, die wir bei Kaskasi umsetzen.
EEHH: Im Offshore-Windpark Kaskasi feiern mehrere innovative Technologien jeweils Weltpremiere. Können Sie erläutern, welche weiteren Technologien und Verfahren dort erprobt und angewendet werden?
Sven Utermöhlen: Der Einsatz von recycelbaren Rotorblättern ist nur ein Beispiel dafür, wie wir Innovationen in der Praxis testen und damit die Weiterentwicklung der Offshore-Windindustrie maßgeblich mit vorantreiben. Bei Kaskasi haben wir neben der herkömmlichen Schlagrammtechnik ein innovatives Vibrationsrammverfahren eingesetzt. Das sogenannte Vibro Pile Driving hat das Potenzial, den Unterwasserschall deutlich zu reduzieren. Das kommt vor allem der Meeresumwelt zu Gute. Zudem erproben wir bislang noch nicht marktübliche Technik im Bereich der Fundamente. Zum ersten Mal weltweit haben wir am Meeresboden spezielle Stahlkragen um drei Monopile-Fundamente gelegt. Der sogenannte „Collared Monopile“ wurde auf Grundlage eines von RWE entwickelten Patents entworfen. Zudem testen wir ein Fundament mit einem ‚expandierenden Betonring‘, der sich nach dem Einbringen in den Meeresboden ausdehnt. Die Ausdehnung des Betonrings am Pfahlfuß verdichtet den umliegenden Seeboden. Beide Technologien sollen die Standfestigkeit der Fundamente erheblich erhöhen. Das wollen wir mit begleitenden Messungen und Tests unter Beweis stellen.
EEHH: Und wie ist der aktuelle Baustatus von Kaskasi?
Sven Utermöhlen: Derzeit errichten wir die Windkraftanlagen und nehmen diese sukzessive in Betrieb. Damit kommen wir gut voran und konnten bereits den ersten Strom ins Netz einspeisen. Ende des Jahres sollen dann alle 38 Anlagen betriebsbereit sein. Dann wird Kaskasi rechnerisch über 400.000 Haushalte pro Jahr mit grünem Strom versorgen. Das ist vergleichbar mit einer Großstadt wie Frankfurt am Main. Kaskasi ist ein sichtbares Zeichen dafür, wie RWE den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland vorantreibt. Gerade ein schnellerer Offshore-Ausbau ist wichtig, um gleichzeitig die Klimaziele und eine größere Energieunabhängigkeit zu erreichen.
EEHH: Die recyclebaren Rottorblätter, innovative Fundamenttechnologien und umweltfreundliches Installationsverfahren. Das sind die Paradebeispiele dafür, wie deutsche bzw. europäische Windunternehmen technologischen Fortschritt der Offshore-Windindustrie voranbringen. Im Hinblick auf internationale Geschäftstätigkeit und damit einhergehenden Wettbewerb mit den Marktakteuren aus anderen Ländern, wie würden Sie das Alleinstellungsmerkmal von deutschen bzw. europäischen Unternehmen beschreiben? Worin bestehen die größten Herausforderungen?
Marc Becker: Die Windindustrie ist in Europa groß geworden und das RecyclableBlade beziehungsweise der Windpark Kaskasi heben die hohe Wertschöpfung hervor, die Siemens Gamesa in gleich mehreren Ländern erbringt. Die RecyclableBlade-Technologie wurde in Aalborg entwickelt, die Rotorblätter wurden in Hull gefertigt und die Maschinenhäuser kommen aus Cuxhaven. Dass Innovationen aus Europa kommen und ein wichtiger Teil der Wertschöpfung hier stattfindet, bedeutet, dass wir einerseits Technologieführerschaft sicherstellen und andererseits die Versorgungsicherheit selbst in der Hand haben. Anstatt durch zusätzliche Zahlungskomponenten in den Offshore-Ausschreibungen den Druck auf die heimischen Hersteller weiter zu erhöhen, würde ich mir wünschen, dass unser Beitrag das Klima zu schützen, die Energieversorgung zu sichern und Arbeitsplätze in strukturschwachen Regionen zu schaffen, stärker anerkannt und im Rahmen sinnvoller qualitativer Kriterien in den Ausschreibungen auch berücksichtigt wird.