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"Die Natur kennt keine Abfälle"

HAW Hamburg

EEHH: Moin Herr Willner, was ist das Revolutionäre an der Nexxoil-Idee?

Prof. Willner: "Die Idee von Nexxoil ist, aus biologischen Abfällen Öl zu gewinnen und daraus beispielsweise Treibstoffe herzustellen. Unser Produkt ist in der ersten Stufe ein Synthetiköl, das durch eine weitere Veredelung mit grünem Wasserstoff den Grundstoff für abfallbasierte e-fuels bieten kann und in der Herstellung viel weniger Strom pro Fahrstrecke verbraucht als batterie-elektrische Autos. Zudem passt es in die bestehenden Anwendungssysteme, es müssen beispielsweise keine neuen Motoren erfunden werden. Unser Produkt kann in einer Raffinerie problemlos zu diversen klimaneutralen Treibstoffen verarbeitet werden. Wir wollen somit die europa- und weltweit über 99 Prozent Nicht-Elektroautos im Fahrzeugbestand so in den Klimaschutz einbeziehen."

EEHH: Wie ist die Idee dazu entstanden?

Prof. Willner: "Sie entstand aus meiner eigenen Promotion in den 80er Jahren an der Technischen Universität Hamburg als Reaktion auf die Ölkrise in den 70er Jahren. Um dem steigenden Ölpreis zu begegnen, versuchten verschiedene Arbeitsgruppen, alternative Rohstoffe in Rohöl umzuwandeln. Zunächst haben wir auch mit fossilen Alternativen wie z. B. Ölschiefer gearbeitet, uns aber bald auf nachwachsende Rohstoffe konzentriert und insbesondere Holz als Modellsubstanz für feste Biomasseabfälle verflüssigt. Um wirklich nachhaltig zu sein, mussten wir in geschlossene Kreisläufe kommen. Obwohl damals Erderwärmung und Klimawandel kaum ein öffentliches Thema waren, war dies eine entscheidende Triebfeder hinter dem Vorhaben. Dann kam im Zuge des Kreislaufwirtschaftsgesetzes ein weiterer Impuls von der Abfallverwertung. Die Natur kennt keine Abfälle, alles wird wieder zu Rohstoffen – diesem Prinzip des natürlichen Kreislaufes folgend wollen wir von den fossilen Brennstoffen wegkommen. Unsere zweite Triebfeder war die Kostenreduktion, da das System auch wirtschaftlich sein muss, und diesen Weg haben wir gefunden."

EEHH: Die Forschung dauerte mehrere Jahrzehnte an – wo stehen Sie heute?

Prof. Willner: "Den entscheidenden Durchbruch hatten wir vor ca. drei Jahren. Die Prozessidee zu stabilisieren dauerte sehr lange – keiner außer uns glaubte, dass es geht. Das Team trotzte allen Zweifeln und fand immer neue Ideen. Derzeit bauen wir eine Pilotanlage mit einer Kapazität für 100 Tonnen pro Jahr, die erste kommerzielle Demonstrationsanlage soll die zehnfache Kapazität haben. Die ersten Anlagen werden modular und containerbasiert aufgebaut. Derzeit führen wir Gespräche mit vielen Entsorgern und wollen die Anlagen ab nächstem Jahr in den Markt bringen."

Im Interview

Prof. Dr.-Ing. Thomas Willner ist Professor für Verfahrenstechnik an der HAW Hamburg und Erfinder der Nexxoil-Technologie. Er blickt auf mehr als 30 Jahre wissenschaftlicher Erfahrung im Bereich abfallbasierter Kraft- und Brennstoffe sowie Chemiegrundstoffe zurück. Nach heutigem Kenntnisstand hat er das effizienteste und kostengünstigste Verfahren für deren Herstellung entwickelt. Industrieerfahrung hat er im Anlagenbau im ThyssenKrupp-Konzern im Speiseölbereich gewonnen. Er leitet zwei nationale Expertenkreise, seit 21 Jahren den Technologiearbeitskreis der Deutschen Gesellschaft für Fettwissenschaft (DGF) und seit 10 Jahren den DECHEMA-Arbeitsausschuss zum Themenkomplex „Alternative Kraftstoffe“. Daneben berät er die Politik zum Klimaschutz in den Bereichen Verkehr und Wärme im Kontext der Energiewende.

EEHH: An welche Abnehmer richten Sie sich und mit welcher Art Abfall wird der Prozess 'gefüttert'?

Prof. Willner: "Wir richten uns zunächst an Entsorgungsunternehmen, die mit Fetten und Ölen arbeiten. Unser Vorteil: Da wir ein sehr sauberes Destillat ohne Katalysatoren bekommen, muss der Abfall nicht von Giften gereinigt werden. Und wir brauchen nur ungefähr sechs Prozent der Rohstoffenergie für den Prozess. Außerdem kann dies im Gegensatz zu konventionellen Verfahren in kleinen dezentralen Anlagen ablaufen. Dadurch sind die Transportwege kürzer, und kleine und mittelständische Entsorger können die Wertschöpfung vor Ort vornehmen. Die nächste Rohstoffklasse und damit die zweite Stufe ist Plastikabfall. Hier sehen wir auch in unserem dezentralen Ansatz eine Chance, das weltweit auszurollen."

EEHH: Wie kann der Nexxoil-Prozess bei der Bewältigung der Energiekrise helfen?

Prof. Willner: "Um die du bewältigen, ist Technikdiversität notwendig – Monokulturen wie eine komplette Elektrifizierung macht die energetische Versorgung nicht resilient, sondern schafft neue Abhängigkeiten und hilft nicht beim Klimaschutz. Unsere Technologie betrifft die ganze Welt, da sie überall anwendbar ist. Rein rechnerisch könnte das gesamte Erdöl ersetzt werden."

EEHH: Was ist Ihr Unternehmensziel?

Prof. Willner: "Unser Ziel ist, die Technologie weltweit zu vermarkten und kontinuierlich weiterzuentwickeln. Wir sind kein Anlagenbauer, kooperieren aber mit solchen. Dadurch können wir auch die Wertschöpfung in anderen Ländern fördern. Zudem wollen wir mit den Betreibergesellschaften kooperieren. Dabei werden wir nicht selbst zum Entsorgungsbetrieb, sondern arbeiten mit den Unternehmen zusammen, die die Rohstoffe haben. Da wir einen hohen Bedarf sehen, streben wir ein exponentielles Wachstum an."

EEHH: Welche Herausforderungen bleiben bestehen?

Prof. Willner: "Die grundlegende Verfahrenstechnik ist klar, in den nächsten Entwicklungszyklen werden wir bei der Skalierung Detailschwierigkeiten beseitigen und Optimierungen vornehmen. Das Schlimmste liegt hinter uns, die wichtigsten Fragen sind geklärt, und Rückschlägen am Markt haben wir damit so weit wie möglich vorgebeugt. Wir möchten außerdem gerne unsere Botschaft auch an die Politik zu richten, dass die Technologie nun vorhanden ist und die Politik dafür die Rahmenbedingungen schafft, damit sie auch schnell wirtschaftlich angewendet werden kann und die Investoren den Anreiz sehen."

nexxoil.com

Über Oliver Schenk

Profilbild zu: Oliver Schenk

Ich bin verantwortlich für den Bereich Marketing Wasserstoff und sorge dafür, dass die hiesigen Projekte und Formate in der Metropolregion Hamburg und darüber hinaus wahrgenommen werden. Um dem vielversprechenden Energieträger zum Durchbruch zu verhelfen unterstütze ich die Wasserstoffwirtschaft mit redaktionellen Beiträgen, Netzwerkveranstaltungen, Videoproduktionen und vielem mehr.

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