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„Die Industrie gibt die Netzentwicklung vor" Aufbau des H2-Fernleitungsnetzes – Interview mit Gasunie

„Die Industrie gibt die Netzentwicklung vor
So könnte das H2-Startnetz 2030 aussehen. © Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas e.V.

Moin Herr Grunwald, danke dass Sie uns einen Ausblick auf die Entwicklung des H2-Netzes geben. In einem Webinar der Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB Gas) referierten Sie kürzlich über das H2-Netz für 2030 und 2050. Was hat es damit auf sich?

Mit den H2-Netzen für 2050 bzw. 2030 legen die FNB einen Plan vor, der die Entwicklung des Wasserstoffnetzes aufzeigt, das für ein klimaneutrales Deutschland benötig wird. Ziel der FNB war es, belastbare Informationen zu liefern, welches H2-Netz benötig wird und - auch nicht ganz unwichtig - was es kosten wird. Grundlage für die Planung des Wasserstoffeinsatzes ist ein Energie-Szenario, das die Möglichkeiten von Wasserstoff in der Dekarbonisierung aufzeigen soll.  Die „Szenario-basierte“ Planung sehen wir als Vorbereitung für den kommenden Netzentwicklungsplan (NEP). Im NEP Gas 2022-2032 wird auf der Basis der konkreten H2-Projekte, die im Rahmen der FNB Gas- Marktabfrage eingebracht wurden, das bis 2032 benötigte H2-Netz geplant werden. Das Ergebnis wird eine sehr belastbare Planung sein.  

 

Weshalb ist das H2-Netz 2030 in Nordwestdeutschland auffällig stark verzweigt? Welche vorteilhaften Bedingungen findet die Branche vor, um für den Ausbau des Wasserstoffnetzes dort einen ersten Schwerpunkt zu setzen?

Wir sehen starke Argumente, warum im Norden früh etwas passiert. Das liegt vor allem an der hohen Verfügbarkeit von On- und Offshore Windstrom und damit der Möglichkeit zur Erzeugung von H2 über Elektrolyse. Hinzu kommt die Nähe zu den Niederlanden und Dänemark, die stark im Bereich Offshore Wind sind und künftig wahrscheinlich auch Wasserstoff exportieren werden. Wir verfügen im Nordwesten über große industrielle Abnehmer, darunter sowohl Stahlwerke als auch Chemie- und Düngemittelhersteller, die zukünftig Wasserstoff einsetzen wollen. Hinzu kommt, dass die Metropolregion Hamburg schon lange eigenständig im Bereich Wasserstoff aktiv ist und darauf aufbauen kann. Aber: Das große Ganze ist leistungsfähiger als die Summe der einzelne „Inseln“ für Verbrauch und Produktion, weshalb es uns als Gasunie wichtig ist mit unserem Projekt HyPerLink früh Regionen im Nordwesten in ein Gesamtnetz zu integrieren.

 

Wie sieht der Weg vom Wasserstoffnetz 2030 zu 2050 aus?

Wie sich das Netz entwickelt, ist abhängig von den konkreten lokalen Wasserstoff-Projekten und deren Realisierung. Anders gesagt: Das Aussehen des anfänglichen Netzes ist sehr abhängig von den Entscheidungen der Unternehmen, „wo“ etwas passiert. Daher ist es für die FNB tatsächlich leichter, das 2050er-Netz zu prognostizieren als das für 2030, weil für eine dekarbonisierte Wirtschaft bis 2050 alle Abnehmer erreicht sein müssen. Das ist auch der Hintergrund, warum wir unsere Planung „vom Ende her“ durchgeführt haben.

Welches Risiko besteht beim Aufbau des H2-Netzes?

Für die Startphase bis 2030 sehe ich die Gefahr, dass wir zu vorsichtig in den H2-Netz-Aufbau starten. Die Marktabfragen bestätigen das sehr große Interesse am Einsatz von Wasserstoff zur Dekarbonisierung. Das H2-Netz 2030 zeigt die Möglichkeiten im Netzaufbau auf und soll weitere Planungen auf der Abnehmerseite ermöglichen.

Als Netzbetreiber können wir vieles schaffen – der Ausbau der Netze darf nicht zum Bottleneck für die Dekarbonisierung mit Wasserstoff werden. Im Gegenteil: Das Wasserstoffnetz ist eine Infrastruktur wie Autobahnen, Bahnschienen oder Glasfaserkabel. Erst wenn diese Infrastrukturen vorhanden sind, kann sich um sie herum eine prosperierende und zukunftsfähige Ökonomie entwickeln.

 

Welche Akteure oder Regionen sollten als erstes in einem Wasserstoffnetz verbunden werden?

Die großen Industrieabnehmer werden das Wachsen der überregionalen Infrastruktur auslösen und bestimmen. Projekte im Mobilitäts- und Wärmesektor können auch sehr sinnvoll lokal entwickelt werden, für die großen Abnehmer braucht es aber ein ausgebautes Netz. Im NEP wollen wir als Gasunie aber trotzdem frühzeitig Leitungen „anbieten“, auch wenn die planerische Auslastung anfänglich noch nicht so groß sein wird. Wir wollen Verbindungen schaffen mit Hinblick auf die langfristige Entwicklung.

 

Wie ist das H2-Startnetz verknüpft mit dem European-Hydrogen-Backbone?

Der gesamteuropäische Planungsprozess ist noch nicht klar, aber es ist schon jetzt zwingend notwendig, die Integration ins europäische Wasserstoffnetz mitzudenken. Deutschland wird einen großen Importbedarf für Wasserstoff haben – das zeigen aktuelle Studien und findet sich auch als Annahme in der Nationalen Wasserstoffstrategie. Die Anbindungen sind deswegen wichtiger Bestandteil der Überlegungen – trotzdem besteht die Gefahr, das Potenzial der nationalen Produktion zu unterschätzen, wenn man aus der Systemperspektive zu stark auf Lieferungen aus dem Ausland setzt. Und man muss auch vorsichtig sein, wie man die verschiedenen Planungen versteht. Der European Hydrogen Backbone ein wichtiges Kommunikationsinstrument bei der Planung der Netze, er ist aber kein Umsetzungsplan.

 

Welche Rolle werden Importe über den Seeweg spielen?

Die Nationale Wasserstoffstrategie bezieht bei Importen auch die weiter entfernten Aufkommensquellen mit ein. Die FNB haben derzeit planerisch eher den Landimport im Fokus. Der EHB aber auch die dena zeigen, dass der Wasserstoffbedarf von Deutschland über Leitungen gedeckt werden kann, was in Hinblick auf die Kosten sinnvoll ist. In dieser Auslegung des Netzes ist der Import über Häfen aber sehr wohl möglich, allerdings ist das nicht die Grundannahme. Die Standorte der Häfen wären in der Netzplanung sogar weniger „Netz-belastend“ als die nördlichen Importpunkte aus Dänemark, Norwegen oder den Niederlanden. Was allerdings in Hinblick auf Wasserstoffimport aus Übersee zu beachten ist, sind Vor- und Nachteile der Trägermedien: Exportländer werden womöglich direkt höherverarbeitete Wasserstoffderivate herstellen. So kann eine höhere Wertschöpfung erreicht werden, indem z. B. direkt Ammoniak oder Methanol (mit CO2 aus der Luft) für den Export hergestellt werden. Der Transport von flüssigen Energieträgern aus Übersee ist deutlich einfacher als der Transport von Wasserstoff.

 

Was ist aus Ihrer Sicht nötig, damit die Hochlauf der deutschen Wasserstoffwirtschaft gelingt?

Wirtschaftsunternehmen müssen in die Lage versetzt werden, aus einer betriebswirtschaftlichen Betrachtung heraus auf die Karte Wasserstoff zu setzen. Die Förderungen im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie bzw. der europäischen IPCEI (Important Projects of Common European Interest) liefert einen wichtigen Anschub für den Einsatz von Wasserstoff. Es bleibt abzuwarten, ob das ausreicht. Ich hoffe, der neuen Regierungskoalition gelingt es zügig, die Rahmenbedingung für Netzbetreiber und Netznutzer zu setzen, so dass die ersten großen Projekte (Erzeugung und Verbrauch) eine Investitionsentscheidung tätigen können. Wir brauchen nichts weniger als einen Big Bang.

Im Interview

Dr. Malte Grunwald ist Mitarbeiter der Gasunie Deutschland (GUD). Seit 2002 ist er im Gasbereich tätig, der Schwerpunkt seiner beruflichen Aktivität lag von 2011 bis 2019 auf der Mitarbeit am gemeinsamen Netzentwicklungsplan der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB). Seitdem ist er zuständig für die Langfristplanung im Wasserstoff Team der GUD.

Über Astrid Dose

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Reden, schreiben und organisieren – und das mit viel Spaß! So sehen meine Tage beim EEHH-Cluster aus. Seit 2011 verantworte ich die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing des Hamburger Branchennetzwerkes. Von Haus aus bin ich Historikerin und Anglistin, mit einem großen Faible für technische Themen.

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