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Zehn Jahre Energiewende-Kooperation: Herausforderungen, Hemmnisse und Ausblick Event-Rückblick NRL-Konsortialtreffen „NEW 4.0 meets NRL“ am 06. November 2025
Der Anteil erneuerbarer Energien am Hamburger Bruttostrommix steigt kontinuierlich. Ein Erfolg, zu dem auch mit Bundesmitteln geförderte Verbundprojekte wie die Reallabore der Energiewende beitragen. Akteure der beiden länderübergreifenden Großvorhaben NEW 4.0 (2016-2021) und NRL (2021-2027) kamen beim vierten NRL-Konsortialtreffen im view eleven in Hamburg-Neumühlen zusammen. Auf der Agenda standen Learnings, aktuelle Projektmeilensteine und Hemmnisse im Wasserstoffmarkthochlauf sowie eine politische Diskussion u. a. mit Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin und Umweltsenatorin Katharina Fegebank.
„Viele Akteure im Energiesystem haben eine abwartende Haltung.“
Nach der Begrüßung durch Projektkoordinator Mike Blicker stieg Dr. Hans-Christoph Wirth (BMWE) mit einer pointierten Analyse des Energiesystems fachlich ein. Die zunehmende Digitalisierung erhöhe die Anforderungen an das System. Energie müsse sowohl kostengünstig sein, um Akzeptanz und Wirtschaftlichkeit zu garantieren, als auch klimafreundlich, damit die gesteckten Ziele erreicht werden könnten. Forschung und Entwicklung (F&E) spielten dabei ebenso eine Rolle wie die praktische Erprobung. Reallaboren käme die Bedeutung zu, die Machbarkeit der Forschung zu prüfen und Blaupausen für die Wirtschaft zu liefern. „Viele Akteure im Energiesystem haben eine abwartende Haltung. Daher sind Demonstrationsprojekte so wichtig“, schlussfolgerte Wirth. Eine Fortsetzung des Förderprogramms Reallabore der Energiewende sei inzwischen beschlossen.
Strukturelles Versagen des Gesamtsystems
Prof. Dr. Hans Schäfers (CC4E/PSG NRL) blickte auf die beiden Projekte NEW 4.0 und NRL zurück: „Wir haben uns viel vorgenommen und sehen nicht alles realisiert.“ In geförderten Verbundprojekten sind die Referenzanlagen abhängig von FIDs (Final Investment Decision), die nicht immer positiv ausfielen. Dennoch sei das SINTEG-Projekt NEW 4.0 retrospektiv ein Erfolg mit Blick auf die Anzahl der Projekte und Use Cases, die ihrer Zeit voraus waren und Ansätze erprobten, die heute an vielen Stellen des Energiesystems in Anwendung seien. Das NRL befinde sich derzeit in einer ganz ähnlichen Lage. Einige Projekte seien vor der Ziellinie zum Erliegen gekommen, weniger aufgrund von Projektfehlern, sondern aufgrund von einem strukturellen Versagen des Gesamtsystems. Das NRL könne helfen, diese Hemmnisse sichtbar zu machen und Lösungen aufzuzeigen. Zugleich sei zu erwarten, dass rückblickend auch das NRL als Projekt bewertet würde, das relevante Bausteine für ein zukunftsfähiges Energiesystem frühzeitig erprobt hat.
Sweet Spot zwischen netzdienlicher und marktorientierter Herangehensweise
Wie technische Lösungen Akzeptanz schaffen können, zeigte Dr. Malte Hinrichsen (HanseWerk). Beim Vorgängerprojekt NEW 4.0 habe die Herausforderung darin bestanden, dass über 3.300 GWh in Schleswig-Holstein aufgrund von Netzengpässen abgeregelt wurden. Mit der Einführung der gelben Ampelphase auf der Koordinierungsplattform ENKO für Netzbetreiber und Großabnehmer sei ein wichtiger Beitrag für Flexibilisierung, Akzeptanz und Wissenstransfer gelungen. Seit 2020 seien die Netzengpässe um 70 Prozent zurückgegangen, was größtenteils auf den Netzausbau zurückzuführen sei. „Es braucht einen „sweet spot“ zwischen einer netzdienlichen und marktdienlichen Herangehensweise“, erklärte Malte Hinrichsen. Flexibilisierung könne helfen, diesen zu finden.
Elektrolyseurstandorte identifizieren
Dr. Sebastian Wende-von Berg vom Frauenhofer IEE führte in seinem Vortrag die Flexibilisierungskomponente „Elektrolyseur“ weiter aus. In einer Szenarioanalyse bis 2045 legte das Institut dar, wo Elektrolyseure netzdienlich und wirtschaftlich in Schleswig Holstein platziert werden könnten. Landschaftliche Bedingungen, Gasnetz- und Stromnetzanschlüsse seien für die Standortwahl integral. „An 20 Prozent der möglichen Standorte lässt sich 80 Prozent der Energie umsetzen“, so Wende-von Berg. Richtig dimensionierte und platzierte Elektrolyseure könnten 20 bis 50 Prozent der sonst abgeregelten Leistung in Wasserstoff umwandeln und damit Netze entlasten sowie regionale Wertschöpfung fördern.
Wirtschaftlichkeit von Wasserstoff noch nicht gegeben
Kim Viola Kanitz von Green Planet Energy brachte die Praxissicht ein. Sie bestätigte die Erkenntnisse des Fraunhofer IEE: Flexibilität sei entscheidend, doch die Wirtschaftlichkeit von Wasserstoff lasse noch zu wünschen übrig. Die Strompreise seien sehr volatil, weshalb mehr Flexibilität notwendig sei. Mit Elektrolyseuren könne bei niedrigen Strompreisen Wasserstoff produziert werden. Doch derzeit sei der Markt noch nicht rentabel. Politische Initiativen zur Regulierung wie die RED II, welche Zusätzlichkeit, Gleichzeitigkeit und räumlichen Zusammenhang regle, sei zwar eine gute Ambition, steigere aber die Komplexität. Die neue Anlage von Green Planet Energy, welche 2028 in Betrieb gehen soll, werde deshalb mit einer PV-Anlage rund um den Elektrolyseur geplant. Die Flexibilität sei eine Chance, aber gleichzeitig habe ein flexibler Betrieb von Elektrolyseuren Auswirkungen auf die Lebensdauer der Technik. Zudem hätten sich Bau- und Betriebskosten für Elektrolyseure seit zehn Jahren kaum verringert und für die Industrie bleibe ein verlässlicher H₂-Fluss zentral, der bei fluktuierender Produktion nicht gegeben sei. Speicherlösungen seien daher unverzichtbar.
„Wasserstoff ist nur einer von vielen Hebeln zur Dekarbonisierung.“
„Flexibilisierung in der Industrie ist schwierig, da Anlagen 24/7 laufen“, bestätigte Christian Hein von Aurubis in seinem Vortrag. Die im Rahmen von NEW 4.0 entwickelte Power-to-Steam-Anlage sei weiterhin in Betrieb. Auch im NRL habe Aurubis ambitionierte Defossilisierungspläne verfolgt, wie etwa die Eigenproduktion von Wasserstoff. „Das war wirtschaftlich nicht darstellbar“, so Christian Hein. H2 sei im Vergleich zu Erdgas um den Faktor drei bis fünf teurer und daher international nicht wettbewerbsfähig. Trotz dieser Hürden habe Aurubis zwei Anodenöfen auf den Wasserstoffbetrieb vorbereitet – H2-ready – und ein Abwärmeprojekt umgesetzt. Sein Fazit: „Wasserstoff ist nur einer von vielen Hebeln zur Dekarbonisierung.“
„Ohne passenden Rechtsrahmen keine Energiewende“
Zum Abschluss der Fachvorträge sprach Prof. Dr. Thorsten Müller von der Stiftung Umweltenergierecht über einen zentralen Engpass der Energiewende, welcher auch einige Teilvorhaben des NRL betrifft: die Regulatorik. „Ohne passenden Rechtsrahmen keine Energiewende“, stellte er klar. Die Stiftung Umweltenergienetz identifiziere die Stellen, an welchen der Rechtsrahmen ungeeignet sei. Dies seien im Wesentlichen drei Bereiche: ökonomischer Rahmen, Infrastruktur und Planung und Genehmigung. Über direkte Förderung oder Schaffung von Nachfrage könne der Hochlauf begünstigt werden. Das Vorhandensein von Infrastruktur sei für die allermeisten Geschäftsmodelle eine Voraussetzung, weshalb es wichtig sei, regulatorisch die Finanzierung der alten Energiewelt auf die neue zu übertragen. Müller plädierte dafür, dass Gesetzgeber nicht nur den Zielzustand definieren, sondern auch die rechtlichen Pfade auf dem Weg dorthin flexibel gestalten sollten.
Die Energiewende ist ein überparteiliches Thema
Den Schlusspunkt setzte eine politische Diskussionsrunde. Zu den Vertretern aus Wirtschaft und Forschung – Prof. Dr. Thorsten Müller (Stiftung Umweltenergierecht), Michael Dammann (Hamburger Energienetze), Stephan Frense (ARGE NETZ) – gesellte sich eine politische Riege aus Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin und Umweltsenatorin Hamburg, Minister Tobias Goldschmidt (MEKUN SH) und Staatssekretärin Ines Jesse (MWITA MV). Im Zentrum der Debatte standen Standortvorteile der Energiewende in Norddeutschland sowie die Notwendigkeit der Schaffung von Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung als Grundvoraussetzung für ein Gelingen ebendieser. Der Volksentscheid für eine Klimaneutralität der Hansestadt Hamburg bereits im Jahr 2040 wurde dabei sinnbildlich gleichermaßen als große Chance sowie als Herausforderung beschrieben. Aus den Publikumsfragen wurde deutlich, dass vor allem die internationale Wettbewerbsfähigkeit, der Erhalt von Arbeitsplätzen in der Region sowie die unternehmerische Planbarkeit im Sinne eines verlässlichen regulatorischen Rahmens und klarer politischer Bekenntnisse zu den größten Anliegen zählten.
Das Konsortialtreffen zeigte eindrucksvoll, was in den vergangenen zehn Jahren erreicht wurde und welche Hürden bestehen. Forschung, Wirtschaft und Politik müssen eng verzahnt arbeiten, um den Markthochlauf von Wasserstoff und anderen Zukunftstechnologien erfolgreich zu gestalten.