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Wundermittel Wasserstoff: Ein (kritischer) Rückblick auf vergangene Projekte in Hamburg
In der Metropolregion der Hansestadt gab es vor über 30 Jahren schon eine ähnlich enthusiastische Aufbruchsstimmung wie heute, die Wasserstoff als neuen Hoffnungsträger im Energie- und Mobilitätssektor feierte. Sein Durchbruch blieb damals aus und manche Kritiker fürchten nun eine Wiederholung der Geschichte. Doch die Karten wurden neu gemischt.
Wasserstoff ist in aller Munde. Für die Vollendung der Energiewende gilt er seit geraumer Zeit als Allheilmittel – und soll vor allem die Dekarbonisierung in Branchen ermöglichen, in denen das bislang undenkbar war, allen voran das produzierende Gewerbe und die Logistik. Für manch eine/n mag sich die gegenwärtige Begeisterung für Wasserstoff wie ein Deja-Vu anfühlen – und er/sie hätte nicht Unrecht. Schon vor über 30 Jahren gab es Pläne, Wasserstoff in großem Stil ins Energiesystem und in die Mobilität einzubinden. Die Spanne reichte dabei von kleinen Erprobungsprojekten vor Ort bis zu großen H2-Importplänen, von denen manche klingen, als seien sie erst gestern verkündet worden. Einige Projekte waren richtungsweisend, manche zeitigten aber aufgrund unreifer Technik und/oder mangels politischer Unterstützung keine größeren Erfolge oder bleibende Effekte. In Anbetracht der heutigen neuen Dynamik in Politik und Wirtschaft und der Pläne zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft lohnt sich ein kurzer Rückblick vor der Folie der Frage: Was ist heute anders?
Jörg Lampe, Geschäftsführer der ESN EnergieSystemeNord GmbH, in den 90er Jahren noch bei den Hamburger Gaswerken tätig, erinnert sich noch an das Pioniergefühl: „Die Euphorie war damals deutlich zu spüren. In verschiedenen Foren tauschte man sich aus und ging von einer Marktreife in 10 Jahren aus.“ Er selbst wirkte maßgeblich daran mit, verschiedene Projekte mit Wasserstofftechnik umzusetzen, etwa bei dem ersten H2-BHKW, das in Deutschland ins Wärmenetz integriert wurde.
Weitere Projekte waren durchaus bemerkenswert, etwa das bereits Ende der 80er begonnene Euro-Québec Hydro-Hydrogen Pilot Project (EQHHPP). Es war das erste detaillierte und systematisch durchdachte Projekt zur Nutzung von Wasserstoff für Transportzwecke. Von 1989 bis 1992 untersuchte das Pilotprojekt die Machbarkeit der Erzeugung, Anwendung und des transatlantischen Transports von Wasserstoff. Dieser sollte in Kanada mithilfe von Wasserkraft umweltfreundlich hergestellt werden. In flüssiger Form sollte er mit eigens entwickelten Tankern nach Hamburg transportiert werden. Auf diese Weise wollte man das Transportwesen, Brennstoffzellen und Kraftwerke mit günstig hergestelltem Wasserstoff versorgen. Die Durchführung scheiterte jedoch an der Projektfinanzierung, obwohl die Europäischen Kommission bis 50 Prozent der Kosten übernehmen wollte.
Ein weiteres ambitioniertes Projekt, das einige Jahre später gestartet wurde und sich auf die Erkenntnisse von EQHHPP stützte, war „Wasserstoff.Energie.Integration.Transport.“ (WEIT). Darin ging es vor allem um Fragen der praktischen Anwendung im Verkehr sowie der Genehmigung und Akzeptanz. In Hamburg wurde in Phase 1 eine Wasserstoff-Tankstelle errichtet, die sechs Kleinlastwagen mit Wasserstoff-Antrieb verschiedener Unternehmen versorgen sollten. Im Zuge dessen wurden verschiedene Optionen zur Bereitstellung von grünem Wasserstoff geprüft, da ein wesentliches Ziel des Projekts die Realisierung der gesamten emissionsfreien Kette zur Kraftstoffversorgung war. Dieser so genannte well-to-wheel Ansatz beinhaltete die Erzeugung von Wasserstoff mit Strom aus erneuerbaren Energien. Erste Untersuchungen hierzu wurden mit Island durchgeführt, wo mittels Wasserkraft grüner Wasserstoff in großem Stil für den Export produziert werden sollte. Zu einem Import des isländischen Wasserstoffs in flüssiger Form per Schiff nach Hamburg kam es allerdings nie. Die Transportkosten für die benötigten kleinen Mengen hätten die Herstellungskosten überstiegen, womit das Vorhaben unwirtschaftlich gewesen wäre. Die Idee des Imports von großen Mengen ist jedoch noch nicht vom Tisch und die Überlegungen und Gespräche wurden erst jüngst wieder aufgenommen.
Auf eine lokale Erzeugung von Grünem Wasserstoff fokussierte sich wenige Jahre später ein Projekt, das in Bremerhaven aufgesetzt wurde. Der für die mobile Wasserstoffherstellung umgerüstete Küstentanker Hydrogen Challenger konnte, dank Elektrolyseeinheit und Windturbinen, den Wasserstoff in der Deutschen Bucht direkt an Bord produzieren und speichern. Ein echtes Novum, doch auch diese Idee wurde nicht weiterverfolgt und das Projekt nach einigen Jahren liquidiert, das Schiff abgewrackt.
Ein weiteres Großprojekt wurde im Bereich Mobilität umgesetzt. Hamburg war nach dem Millenium eine von zehn Städten bei HyFLEET:CUTE, dem weltgrößtem Demonstrationsprojekt für Busse mit Wasserstoff-Antrieb. Das Projekt lief von Januar 2006 bis Dezember 2009. Nach einem weiteren Pilotprojekt mit Wasserstoffbussen wurden diese jedoch abgeschafft, die Technik sei noch nicht reif gewesen. Rund zehn Jahre später sieht die Situation anders aus und die Hochbahn will zwischen 2021 und 2025 bis zu 50 Brennstoffzellenbusse anschaffen.
Man darf sich zurecht fragen, was die heutige Ausgangslage von der vor ein paar Jahrzehnten unterscheidet und warum die Begeisterung nicht wieder verpuffen sollte wie der Wasserstoff bei der Knallgasprobe im Chemieunterricht. Jörg Lampe schätzt den aktuellen Wasserstoff-Boom optimistisch ein und zieht den Vergleich zu früher: „Um eine erfolgreiche nationale Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, braucht es eine Kombination aus Können und Wollen, die damals so nicht vorhanden war. Die Erneuerbaren Energien haben heute einen viel höheren Stellenwert und sind besser ins Energiesystem integriert. Auch die Technik wurde bedeutend weiterentwickelt, insbesondere im Bereich der Brennstoffzellen.“
Hinzu kommt, dass der politische Wille inzwischen sehr viel gefestigter und die ökonomische und ökologische Notwendigkeit einer Umgestaltung unseres Energiesystems weitreichend erkannt ist – Druck kommt sowohl vom nationalen wie vom europäischen Gesetzgeber. Auch das Interesse der Industrie ist heute stärker ausgeprägt – in vielzähligen Reallaboren werden bereits neue Techniken unter praktischen Bedingungen getestet, um sie anschließend für den industriellen Einsatz zu anzupassen. Mit der technischen Weiterentwicklung geht auch die notwendige schrittweise Kostenreduktion bei der Installation von u. a. Elektrolyseanlagen einher. Somit stehen die Zeichen sehr gut, dass sich der mit viel mehr Vehemenz als vor der Jahrtausendwende bildende Wirtschaftszweig um Wasserstoff großflächig etablieren wird.