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Worauf beim Umgang mit Wasserstoff und seinen Derivaten zu achten ist Wasserstoffsicherheit

Politik und Wirtschaft machen bereits große Pläne mit Wasserstoff und den Derivaten, die man daraus herstellen kann. Für Logistiker und industrielle Anwender bedeutet das teilweise eine große Umstellung von traditionellen Treibstoffen. Wir geben eine Übersicht zu den Sicherheitsherausforderungen.

Worauf beim Umgang mit Wasserstoff und seinen Derivaten zu achten ist

Wasserstoff (gasförmig)

Wasserstoff ist nicht per se ein gefährlicherer Stoff als andere – er hat individuelle Anforderungen, denen man für einen sicheren Umgang Rechnung tragen muss. Diese variieren an den verschiedenen Stellen entlang der Wasserstoff-Wertschöpfungskette. (Lesen Sie hier das Interview mit Logistik-Expertin Carina Meyer, Head of Gaspool/Global Gas beim Logistikdienstleister HOYER Group). Eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit besteht nicht - Wasserstoff wird als ungiftig, nicht sauer und nicht krebserregend eingestuft.
Dräger nennt sieben Herausforderungen im sicheren Umgang mit Wasserstoff in der Industrie:

  • Explosion
    Eine Analyse der Hydrogen Incidents and Accidents Database (HIAD) untersuchte 485 gemeldete Ereignisse. Eine Analyse zeigt, dass mehr als die Hälfte der Vorfälle zu einer Explosion führten.

 

  • Unsichtbare Flamme
    Wasserstoff brennt mit einer sehr hellen Flamme, die bei Tageslicht fast unsichtbar ist – die Strahlungswärme ist dabei gering, sodass man die Flamme nur aus kurzer Entfernung wahrnimmt.

 

  • Lecks
    Wasserstoffmoleküle sind sehr klein, auch die ist Viskosität gering. Dadurch kann Wasserstoff leichter als andere Gase aus Rohren austreten – und sich bei hohem Druck sogar selbst entzünden!

 

  • Permeation/Versprödung
    Wasserstoff kann leicht in andere Materialien eindringen und diese angreifen. Tanks und Leitungen sind daher aus Edelstahl oder Verbundwerkstoffen.

 

  • Querempflindlichkeit von CO-Alarmen
    Kohlenmonoxid Alarme können fälschlicherweise ausgelöst werden.
  • Bildung von Gastaschen
    Aufgrund seiner geringen Dichte kann sich Wasserstoff unter der Decke von Räumen sammeln. Das kann am Boden unbemerkt bleiben.

 

  • Geruchlos und farblos
    Ohne Odorierung können die menschlichen Sinnesorgane Wasserstoff nicht wahrnehmen – Detektoren für Leckagen sind unerlässlich.

Schaut man sich an, in welchen Branchen Zwischenfälle mit Wasserstoff vorkommen, so fällt auf, dass sich fast zwei Drittel der gemeldeten Unfälle in der chemischen und petrochemischen Industrie ereignen. Jeder zehnte Fall geschieht bei Wasserstofftransport und -verteilung, nur jeder zweihundertste beim Handling wasserstoff-betriebener Fahrzeuge.

Hier finden Sie das Sicherheitsblatt Wasserstoff.

Wasserstoff (flüssig)

Flüssiger Wasserstoff, auch LH2 genannt, hat eine Temperatur von 252,87 °C. Seine Dichte ist sehr gering (also das Gewicht pro Menge), die Energiedichte ist dabei aber sehr hoch - 1 kg Wasserstoff enthält etwa 2,5 mal mehr Energie als 1 kg Erdgas. Wie der gasförmige Wasserstoff ist er ungiftig und es bestehen keine nennenswerten Gefahren für die Umwelt,
wenn er versehentlich freigesetzt wird. Die Gefahren liegen vor allem in der Kälte.

Aufgrund der extrem kalten Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt erfordert flüssiger Wasserstoff eine kryogene Speichertechnologie, wie z. B. spezielle wärmeisolierte Behälter, und erfordert eine besondere Handhabung, die für alle kryogenen Brennstoffe gilt. Dies ist ähnlich, aber schwieriger als bei flüssigem Sauerstoff. Selbst mit wärmeisolierten Behältern ist es schwierig, eine so niedrige Temperatur zu halten, und der Wasserstoff wird nach und nach entweichen. Er weist viele der gleichen Sicherheitsprobleme auf wie andere Formen von Wasserstoff und ist kalt genug, um atmosphärischen Sauerstoff zu verflüssigen oder sogar zu verfestigen, was eine Explosionsgefahr darstellen kann.

Der direkte Kontakt mit flüssigem Wasserstoff oder mit Oberflächen bei sehr niedrigen Temperaturen führt zu kryogenen "Verbrennungen", ähnlich wie bei thermischen Verbrennungen. Lebendes Gewebe gefriert, außer bei sehr kurzem Kontakt, wenn der Temperaturunterschied zwischen Kryogen und Haut noch hoch ist (Filmsiedezustand) und die Wärmeübertragung gering. Das Einfrieren der Haut auf einer kalten Oberfläche kann zu schweren Schäden führen, wenn sie entfernt wird. Längerer Kontakt der Haut mit kaltem Wasserstoff kann zu Erfrierungen führen. Längeres Einatmen von kalten Dämpfen oder Gasen kann zu schweren Lungenschäden führen. Besonders die Augen sind kälteempfindlich. Eine längere
Exposition gegenüber kalten Temperaturen nach einem großen Unfall senkt die Körpertemperatur, was zu Unterkühlung, Organfunktionsstörungen und Atemdepression führt.

Weitere Informationen dazu finden Sie hier.

Ammoniak

Zunächst eine kleine stoffliche Einführung – was ist Ammoniak überhaupt und wofür wird es verwendet: Ammoniak ist eine chemische Verbindung von Stickstoff und Wasserstoff mit der Summenformel NH3. Es zählt zu den am meisten produzierten Chemikalien der Welt, wodurch es über ein ausgeprägtes Distributionsnetz und eingeübte Prozessketten verfügt – ein großer Vorteil, um Wasserstoff stofflich gebunden interkontinental zu transportieren. Der hohe Wasserstoffanteil von 17,8 Prozent an seiner Masse macht Ammoniak zu einem wichtigen Energieträger in der Wasserstoffwirtschaft. Ammoniak verfügt in flüssiger Form über eine hohe Energiedichte von 3,3 kWh/l (zum Vergleich: Flüssigwasserstoff bei −253 °C: 2,4 kWh/l, Druckwasserstoff bei 1000 bar: 1,7 kWh/l). Das Gas verflüssigt sich schon bei -33°C oder bei einem Druck von etwa 8 bar – ein weiterer großer Vorteil gegenüber flüssigem Wasserstoff.

Doch nicht nur beim Wasserstofftransport kann er in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen: Ammoniak ist eine wichtige Grundchemikalie, die in vielen Bereichen der chemischen Industrie Verwendung findet. Etwa 80 % der weltweit produzierten Ammoniakmenge wird in Düngemitteln gebunden. Die verbleibenden 20 % dienen als Basis für weitere Stickstoffverbindungen, Kühlung und andere Anwendungen, z. B. aufgrund seiner Eigenschaften als möglicher Energieträger. Auch als Kraftstoff kann es genutzt werden.

Die schlechte Nachricht vorab: Ammoniak ist hochgiftig und ätzend – und das ist noch nicht alles. Daher sind strenge Sicherheitsmaßnahmen sowohl bei Speichern als auch beim Transport notwendig.

  • Giftig
    Sind Menschen Ammoniakdämpfen ausgesetzt, können Reizungen und Schäden an Augen, Nase, Rachen und Lunge entstehen. Bei höheren Konzentrationen kann Ammoniak sogar tödlich sein.
  • Ätzend
    Ammoniak wirkt ätzend, da es seiner Umgebung Wasser entzieht und dadurch eine Alkalität an den betreffenden Berührungspunkten erzeugt. Dies kann zu Haut- und Augenreizungen, Verätzungen und Schäden an den Atemwegen führen.

  • Entzündbar
    Ammoniak ist ein entzündbares Gas und kann bei Konzentrationen zwischen 14 Vol.-% (untere Explosionsgrenze) und 32,5 Vol.-% (obere Explosionsgrenze) entzündet werden. Die Selbstentzündung tritt in Gegenwart von ausreichend Sauerstoff bei 630 °C ein.

  • Wasserlöslich
    Ammoniak hat, abhängig von der Temperatur und dem Partialdruck, eine gute Löslichkeit in Wasser. Ammoniakwasser stellt eine langfristige Gefahr für Wasserorganismen und deren Umwelt dar. Leckagen und Austritte von Ammoniak sind daher vor allem auf dem Seetransport unbedingt zu vermeiden.

  • Ausbreitungsverhalten
    Ammoniak ist leichter als Luft und steigt normalerweise auf. In der Anwendung als Kältemittel sinkt das tiefkalte NH3 bei Austritt jedoch zu Boden. Auch feuchte Umgebungsbedingungen können zur Bildung von Ammoniakdampf führen, der schwerer ist als Luft. Es ist wichtig, die individuellen Gegebenheiten für die optimale Positionierung von Gasmesstechnik zu berücksichtigen.

  • Erfrierungen
    Flüssiges Ammoniak wird oftmals im kalten oder tiefkalten Zustand gelagert. Leckagen oder kalte Oberflächen können im Umgang mit Ammoniak daher zu Erfrierungen oder Kälteverbrennungen führen. Aus diesem Grund muss bei der Auswahl von Schutzausrüstung besonders auf die Beständigkeiten der Materialien, z.B. bei Schutzanzügen geachtet werden.

Mit der richtigen Sensorik und Schutzausrüstung sind diese Gefahren aber gut im Zaum zu halten. Der Großteil von Ammoniak in der Atmosphäre kommt übrigens nicht aus der Industrie, sondern aus der Massentierhaltung. Der Großteil des ausgestoßenen Ammoniaks, nämlich laut Umweltbundesamt rund 95 Prozent, stammt aus der Landwirtschaft. Es entweicht hauptsächlich aus Stallmist und Gülle, die als Dünger ausgebracht werden.

Hier finden Sie das Sicherheitsblatt Ammoniak. Weitere Informationen zu den Umwelteinflüssen von Ammoniak finden Sie in der Kurzeinschätzung des Umweltbundesamtes.

Methanol

Wie zuvor ein kurzer Überblick, um was für einen Stoff es sich handelt:

Methanol gehört zur Stoffgruppe der Alkohole und hat die Summenformel CH4O. Es gehört wie Ammoniak zu den weltweit meisthergestellten organischen Chemikalien mit damit einhergehenden etablierten Infrastrukturen. Zum Einsatz kommt es in erster Linie als Chemierohstoff und im Energiesektor, u.a. als Kraftstoff. Im Gegensatz zu grünem Ammoniak benötigt grünes Methanol zur Herstellung eine treibhausgasneutrale Kohlenstoffquelle. Als Vorteil gegenüber Wasserstoff zeichnet es eine langfristige Energiespeicherfähigkeit sowie eine bei Normalbedingungen flüssige Phase aus.

Methanol ist wie Ammoniak im Gegensatz zu Wasserstoff giftig. Methanol kommt dem einen oder anderen vielleicht durch Vergiftungen mit gepanschtem Alkohol in östlichen Urlaubsländern bekannt vor. Es ist nicht ätzend wie Ammoniak, dafür aber deutlich entzündlicher. Anbei die Gefährdungspotenziale im Detail:

  • Giftig
    Methanol ist giftig. Es greift bestimmte Organe und das zentrale Nervensystem an, was zu langfristigen Schäden oder zum Tod führen kann. Symptome können Husten, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit oder Sehstörungen sein. Methanol wird dabei leicht über alle Expositionswege, auch die Haut, aufgenommen. Der Arbeitsplatzgrenzwert von Methanol wurde daher in Deutschland auf 100 ppm, bei einem Überschreitungsfaktor von 2, festgelegt. Da Methanol zu den Niedrigsiedern gehört, müssen geeignete AX-Filter oder umluftunabhängiger Atemschutz beim Umgang mit Methanol eingesetzt werden.

 

  • Ausbreitungsverhalten
    Methanol ist etwas dichter als Luft (32 gegenüber 28 Gramm pro Mol). Der Dampf folgt oft den Luftbewegungen. Wenn Methanol jedoch wärmer als die Umgebungsluft ist, steigt es auf. Wenn es kühler ist, sinkt es ab und sammelt sich in Bodennähe. Die Positionierung der Sensorik sollte daher individuell unter Berücksichtigung örtlicher Begebenheiten, wie Lüftungssystemen, erfolgen. Entzündbar Methanol ist ein leicht entzündbares Gas und kann bei Konzentrationen zwischen 6 Vol.-% (UEG) und 50 Vol.-% (OEG) entzündet werden. Die Selbstentzündung tritt bei 440 °C ein. Der Flammpunkt ist mit 9 °C vergleichsweise niedrig. Ab dieser Temperatur können entstehende Dämpfe ein entflammbares Gemisch mit Luft bilden.

 

  • Blasse Flamme
    Methanol verbrennt mit einer kaum sichtbaren bläulichen Flamme. Flammendetektoren sind daher notwendig und warnen frühzeitig.

 

  • Brandverhalten
    Der niedrige Flammpunkt, der gebundene Sauerstoff, die gute Mischbarkeit mit Wasser sowie die blasse Flamme erschweren die Löscharbeiten von Methanolbränden. Herkömmlicher Löschschaum zersetzt sich, sodass alkoholbeständiger Löschschaum genutzt werden sollte. Die niedrige Wärmestrahlung der Flamme ermöglicht ein Löschen aus nächster Nähe, jedoch ist wegen der blassen Flamme eine mobile Wärmebildkamera notwendig.

 

  • Bodenflüssigkeit
    Wenn kühles flüssiges Methanol austritt, kann Dampf entstehen, der sich in Bodennähe ausbreiten und sich in tieferen Bereichen ansammeln kann. Daher ist es besonders wichtig, die Tanks und Behälter vor dem Einstieg freizumessen.

 

Hier finden Sie das Sicherheitsblatt Methanol.

 

Diese Auflistung ist nicht als Gegenargument zu Wasserstoff und seinen Derivaten zu sehen – alle Energieträger und Kraftstoffe haben spezifische Sicherheitsanforderungen. Die berücksichtigt, können Wasserstoff und seine Derivate genauso sicher transportiert und genutzt werden wie konventionelle Kraftstoffe. Teilweise werden Umwelteinflüsse, wie etwa das Treibhauspotential, die über diese Liste hinausgehen, noch erforscht.

Über Oliver Schenk

Profilbild zu: Oliver Schenk

Ich bin verantwortlich für den Bereich Marketing Wasserstoff und sorge dafür, dass die hiesigen Projekte und Formate in der Metropolregion Hamburg und darüber hinaus wahrgenommen werden. Um dem vielversprechenden Energieträger zum Durchbruch zu verhelfen unterstütze ich die Wasserstoffwirtschaft mit redaktionellen Beiträgen, Netzwerkveranstaltungen, Videoproduktionen und vielem mehr.

von Oliver Schenk