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Nachhaltiger fliegen, bauen und heizen: Westküste 100 Reallabor-Antrag von Orsted und Partnern

Im folgenden Interview berichten die Projektverantwortlichen Volker Malmen, Geschäftsführer Orsted, und Jürgen Wollschläger, Geschäftsführer der Raffinerie Heide über den Status des Reallabor-Antrags "Westküste 100".

Nachhaltiger fliegen, bauen und heizen: Westküste 100
EEHH GmbH / Böthling

EEHH: "Welches Hauptziel verfolgen Sie mit dem Projekt Westküste100?"

Orsted/Raffinerie Heide: "Künftig nachhaltiger fliegen, bauen und heizen, das ist das Ziel des Reallabor Projektes Westküste100. Dabei soll eine regionale Wasserstoffwirtschaft im industriellen Maßstab abgebildet und skaliert werden. Die Voraussetzungen dafür sind gerade an der Westküste Schleswig-Holsteins einzigartig: Hier treffen unter anderem eine starke Windenergie-Region auf ausgezeichnete geologische Speicherbedingungen.

Für das Projekt Westküste100 arbeiten branchenübergreifend Unternehmen und Institutionen zusammen: EDF Deutschland, Holcim Deutschland, OGE, Ørsted Deutschland, Raffinerie Heide, Stadtwerke Heide, Thüga und thyssenkrupp Industrial Solutions sowie die Entwicklungsagentur Region Heide und die Fachhochschule Westküste. Ziel des Projektes ist es, die Windenergie in Norddeutschland zu nutzen, um Wasserstoff in industriellem Maßstab zu erzeugen und eine Dekarbonisierung von Wärme, Transport und Industrie zu erzielen.

Herzstück des Projektes ist der Forschungs- und Entwicklungsansatz, aus Offshore-Windenergie grünen Wasserstoff zu produzieren und die dabei entstehende Abwärme und Sauerstoff zu nutzen. Im Anschluss soll der grüne Wasserstoff sowohl für die Produktion klimafreundlicher Treibstoffe für Flugzeuge genutzt als auch in Gasnetze eingespeist werden. Es ist angedacht, dass ein Kavernenspeichersystem für die Wasserstoffeinlagerung die zur Verfügung stehende Windenergie in einen kontinuierlichen Stoffstrom zur industriellen Nutzung überführt. Für die Treibstoffherstellung wird Wasserstoff aus der Elektrolyse und unvermeidbares CO2 aus der regionalen Zementproduktion in Schleswig-Holstein für den Herstellungsprozess eingesetzt."

EEHH: "Welche Maßnahmen bzw. Meilensteile umfasst das Projekt und mit welchem Zeithorizont rechnen Sie?"

Orsted/Raffinerie Heide: "Mit der Einreichung der Projektskizze für das Reallabor Westküste100 im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Reallabore der Energiewende“ des Bundeswirtschaftsministeriums Anfang April 2019 war ein erster wichtiger Meilenstein erreicht. Reallabore bieten die Möglichkeit, den Technologie- und Innovationstransfer von der Forschung in die Praxis zu beschleunigen. So können technische und nicht-technische Ideen und Innovationen unter realen Bedingungen und im industriellen Maßstab entwickelt und erprobt werden. Am 18. Juli 2019 hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier dann die Gewinner des Ideenwettbewerbs bekannt geben. Zu den Gewinnern zählt auch das Westküste100 Projekt, womit die Projektpartner aufgefordert waren, einen detaillierten Vollantrag zu schreiben. Dieser wurde fristgerecht am 31. März 2020 eingereicht. Die Entscheidungsträger streben eine Entscheidung bis Anfang August an. Im Falle eines positiven Bescheides könnte dann die Arbeit starten. Innerhalb des fünfjährigen Projektzeitraums wird die Installation einer Elektrolyseanlage in der ersten Phase mit einer Leistung von 30 Megawatt ein wesentlicher Meilenstein sein. Sie liefert Erkenntnisse zu Betrieb, Wartung, Steuerung und Netz-Dienlichkeit der Anlagen, um diese in einen nächsten Skalierungs-Schritt zu überführen. Die zweite Phase des Projektes könnte beispielsweise eine Elektrolyse-Anlage in der Größenordnung von 700 MW sein. Für beide Phasen des Projektes wird der dafür benötigte Strom durch einen Offshore-Windpark erzeugt."

EEHH: "Wie entstand die Idee zum Projekt Westküste100?"

Orsted/Raffinerie Heide: "Bereits seit knapp vier Jahren arbeitet die Entwicklungsagentur Region Heide – ebenfalls ein Westküste100 Partner – an einem Vorhaben, das die Schaffung einer weltweit erstmaligen großtechnischen Power-to-X Demonstrationsumgebung zum Ziel hat. Das Vorhaben trägt den Namen IN-ENTREE100 und koordiniert mehr als 60 Partner und über 25 Themen. Darunter auch die Themen des 7. Energieforschungsprogramm der Bundesregierung, das die Dekarbonisierung von Verkehr, Industrie und Wärme adressiert. Das große Netzwerk an Partnern aus IN-ENTREE100 und die Themen zum Umbau des Energiesystems in Deutschland aus dem Programm der Bundesregierung haben letztlich genau die Unternehmen zusammengeführt, die Ende März gemeinsam dem Vollantrag für das Westküste100 Projekt eingereicht haben. Ziel war es die Energiewende-Teilprojekte Verkehr, Industrie und Wärme unter Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit zu einem Gesamtprojekt zu verknüpfen. So hat die aktuell formierte, branchenübergreifende Westküste100-Partnerschaft einen Plan für eine sektorenübergreifende Dekarbonisierung geschaffen, durch die ein Beitrag zur Energiewende geleistet werden kann."

EEHH:"Wie sollte die Politik die Weiterentwicklung von Wasserstoff-Technologie noch besser unterstützen?"

Orsted/Raffinerie Heide: "Die Politik sollte sich auf zwei Aspekte konzentrieren: Auf die Verfügbarkeit von bezahlbarem Strom und die Aktivierung der Wasserstoffnachfrage. Wenn das Angebot an bezahlbarem, grünem Strom erweitert wird, dann kann die Elektrifizierung der Industrie durch Power-to-Hydrogen sowie des Transportsektors durch die Herstellung synthetischer Kraftstoffe gelingen. Offshore-Windenergie ist dafür die ideale Technologie. Das Potential für Offshore Wind umfasst allein in Deutschland ca. 60 GW und könnte noch höher sein, wenn eine stärkere Sektorenkopplung einberechnet wird. Der Ausbau von Offshore Wind sollte deshalb auf mindestens 2 GW pro Jahr angehoben werden und einen längerfristigen Rahmen erhalten, der eine vorausschauende Planung ermöglicht. Für die Wirtschaftlichkeit von Westküste 100 wird außerdem die steuerliche Behandlung dieses Windstroms nach EEG-Umlage entscheidend sein. Des Weiteren kann die Elektrolyse durch die nötige Stromentnahme an den Knotenpunkten an Land zu einer wesentlichen Entlastung des Stromnetzes beitragen. Die Herstellung des Wasserstoffs durch Elektrolyse unterstützt die Netzstabilität und entlastet den Stromkunden im Hinblick auf die netzgekoppelten Strompreisbestandteile, also die Netzentgelte und die mit ihnen erhobenen gesetzlichen Abgaben und Umlagen.

Der zweite Aspekt, der von politischer Seite angepasst werden muss, ist die nachhaltige Aktivierung der Wasserstoffnachfrage. Hier bedarf es einer Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU – kurz RED II – in nationales Recht. Das würde den politischen Entscheidungsträgern die Möglichkeit geben, die Einführung synthetischer Kraftstoffe zu unterstützen. Außerdem müssen auf EU-Ebene künftig synthetische Kraftstoffe für die CO2-Flottenziele der Automobilhersteller berücksichtigt werden. Die Quote für synthetischen Kraftstoff sollte den Beitrag des synthetischen Kraftstoffs zur Dekarbonisierung widerspiegeln.

Diese regulatorischen Anpassungen und Investitionen bieten gemeinsam die Chance zur sektorenübergreifen Dekarbonisierung, die Erreichung der Klimaziele in Deutschland und letztlich zur Schaffung neuer Arbeitsplätze."

Vielen Dank für das interessante Interview und viel Erfolg!

https://www.westkueste100.de/

 

 

Über Astrid Dose

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Reden, schreiben und organisieren – und das mit viel Spaß! So sehen meine Tage beim EEHH-Cluster aus. Seit 2011 verantworte ich die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing des Hamburger Branchennetzwerkes. Von Haus aus bin ich Historikerin und Anglistin, mit einem großen Faible für technische Themen.

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