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Wann kommt das bidirektionale Laden? E-Autos als mobile Batteriespeicher für Eigenheim und Gewerbe

Der deutsche PKW ist ein Stehzeug - im Schnitt 23 Stunden am Tag. Was insbesondere in Städten ein Platzfresser ist, kann aber insbesondere als E-Auto diesen Nachteil zu einem Vorteil für das Energiesystem machen. Dr. Steffen Bechtel gibt in der Reihe Inside Energiewende - der (un)aufgeregte) Realtalk einen Überblick zum Stand der Entwicklungen.

Wann kommt das bidirektionale Laden?
Mit der entsprechenden technischen Ausstattung fließt der Strom von der Fahrzeugbatterie zurück ins Haus - praktisch während der Nachtstunden.Credit: Adobe Stock/sergiokat

Bidirektionales Laden von Elektrofahrzeugen ist wahrlich kein neues Thema. Die Idee, Fahrzeugbatterien, also mobile Batteriespeicher, als Ergänzung zu stationären Batteriespeichern einzusetzen, um fluktuierende Erneuerbare Energien effizienter in das Energiesystem zu integrieren wurde bereits vor zehn Jahren auf Fachkonferenzen diskutiert. Erste Demonstrationsprojekte (z.B. Flexhafen) zeigen bereits, wie gut es möglich ist, Ladevorgänge von Fahrzeugen zeitlich zu steuern. Das bidirektionale Laden schafft darüberhinausgehende Flexibilitäten, da nicht nur das Laden bzw. der Verbrauch, sondern auch eine Rückspeisung aus der Fahrzeugbatterie in den Optimierungsprozess einbezogen werden kann. Das Konzept des bidirektionalen Ladens erfreut sich auch aufgrund seines theoretischen Potenzials großer Beliebtheit. Eine Analyse der Agora Energiewende zu haushaltsnahen Flexibilitäten weist für Deutschland bereits für 2035 ein theoretisches Potenzial von über 300 GW Leistung bei mehr als 2.000 GWh Speicherkapazität aus, hervorgehend aus dem zu erwartenden Hochlauf der E-Mobilität – zum Vergleich: die deutsche Spitzenlast liegt derzeit bei ca. 80 GW. Das reale Potenzial wird sich selbstredend weit darunter finden, nicht nur, weil das politische Ziel von 15 Mio. E-Fahrzeugen bis 2030 kaum noch zu erreichen ist, sondern auch zahlreiche Gründe denkbar sind, warum ein Fahrzeug nicht (dauerhaft) am bidirektionalen Laden partizipieren kann bzw. wird.  Dennoch handelt es sich hier um Kapazitäten, die in einem sektorengekoppelten Energiesystem der Zukunft gewinnbringend genutzt werden können und sollen. Letztlich sind zahlreiche Anwendungsfelder möglich, individuelle wie die Nutzung dynamischer Stromtarife an der eigenen Wallbox, oder auch die Flexibilitätsvermarktung zahlreicher Fahrzeuge über Aggregatoren.

Aktuelle Hemmnisse für bidirektionales Laden

Die noch bzw. weiterhin bestehenden Hemmnisse für den Roll-Out bidirektionalen Ladens lassen sich in folgende Kategorien einteilen:

1.        Technische Voraussetzungen

Fahrzeuge müssen technisch anders ausgestattet sein, um bidirektional laden zu können. Unter anderem wird ein zusätzlicher Wechselrichter im Fahrzeug oder in der Wallbox benötigt, um den Gleichstrom aus den Fahrzeugen wieder umzuwandeln. Erste Modelle können dies bereits oder benötigen lediglich ein Software-Update. In den kommenden Jahren werden weitere Fahrzeuge dazukommen. Auf Gebäudeseite sind intelligente Zähler sowie ein Energiemanagementsystem Voraussetzung.

2.        Wirtschaftlichkeit

Für die bidirektional fähige Wallbox und ein Energiemanagementsystem entstehen zusätzliche Kosten, die über das günstigere Laden erst erwirtschaftet werden müssen. Außerdem kann bidirektionales Laden negative Auswirkungen auf die Herstellergarantie der Batterie haben.

3.        Standards

Derzeit gibt es keine herstellerübergreifenden Standards. Diese sind aber wichtig, wenn die Teilnahme tausender Fahrzeuge an den Strommärkten über Aggregatoren gelingen soll. Standards zu Elektrischer Sicherheit, Netzanschlüssen, Digitaler Kommunikation sowie Messen und Steuern sollen unter anderem durch die ISO auf internationaler Ebene zwischen 2025 und 2027 erstellt werden.

4.        Regulatorik

Selbstverständlich sind auch regulatorische Fragen zu klären. Von der sogenannten „Doppelbelastung“ zwischengespeicherten Stroms beispielsweise, d.h. Netzentgelte, Abgaben und Umlagen, sind nach aktueller Rechtslage nur stationäre Speicher befreit. Dies erschwert zahlreiche Anwendungsfelder bidirektionalen Ladens.

Welche Konzepte werden sich als erstes etablieren?

Energiewende wird gerne aus der Perspektive des Einfamilienhauses gedacht (meine Solaranlage, meine Wärmepumpe, meine Wallbox, mein Elektroauto). Agiert die Fahrzeugbatterie als zusätzlicher Speicher innerhalb der Kundenanlage, d. h. hinter dem Netzanschlusspunkt, spricht man von Vehicle-to-Home (V2H). V2H ist daher vor allem für Einfamilienhausbesitzer wirtschaftlich interessant. So kann beispielsweise der Eigenverbrauch aus der Solaranlage gesteigert werden, indem die Fahrzeugbatterie nachts das Gebäude versorgt, oder die Reaktion auf dynamische Tarife verbessert werden, weil zusätzliche Stromaufnahme in den kostengünstigsten Stunden möglich ist. Da keine Rückspeisung in das öffentliche Stromnetz stattfindet, bestehen oben beschriebene regulatorische Hürden nicht. Somit ist eindeutig, dass sich V2H als erstes etablieren wird.

Bidirektionales Laden im gewerblichen Bereich wird als Vehicle-to-Business (V2B) bezeichnet. Gewerbliche Fahrzeugflotten können analog zum V2H-Konzept Mehrwerte generieren. Darüber hinaus vermeidet das koordinierte Laden und Entladen Spitzenlasten. Auch die Notstromversorgung könnte konzeptionell mitgedacht werden. Die Umsetzung von V2B ist allerdings deutlich komplexer als V2H, gerade aufgrund des Koordinierungsaufwandes und den zahlreichen individuellen Randbedingungen, die der gewerbliche Flottenbetrieb mit sich bringt.

Das Ausspeise aus der Batterie in das öffentliche Stromnetz (Vehicle-to-Grid, V2G) bietet die größte Komplexität. Fahrzeuge müssen über einen Aggregator an den Energiemärkten vermarktet werden, sei es am Day-Ahead, dem Intraday, auf kommenden marktbasierten Flexibilitätsmärkten oder den Regelleistungsmärkten der Übertragungsnetzbetreiber. Aufgrund der oben beschriebenen Hemmnisse in der Standardisierung und der Regulatorik wird es also noch ein wenig dauern, bis eine breitere Anwendung zu erwarten ist.

Ist bidirektionales Laden für Netzbetreiber interessant?

Kann bidirektionales Laden nicht auch die Stromnetze stabilisieren? Diese Frage ist naheliegend, allerdings ist gerade auf Verteilnetzebene kein positiver Beitrag zu erwarten. Marktlich organisiertes bidirektionales Laden kann Gleichzeitigkeiten von Ladevorgängen erhöhen und Netze durchaus stärker belasten bzw. sogar zu einem Netzausbaubedarf führen. Auch der Einsatz zur Netzengpassvermeidung ist eher kritisch zu betrachten, da es sich um eine große Anzahl mobiler Speicher handelt, deren gesicherte Verfügbarkeit für den jeweiligen Verteilnetzstrang nicht gegeben ist.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bidirektionales Laden bereits zeitnah zum Einsatz kommen wird. Der Nutzen fokussiert sich in den ersten Anwendungsfällen allerdings auf wirtschaftliche Vorteile der jeweiligen Nutzer, sei es im Eigenheim oder bei geeigneten gewerblichen Anwendungen. Um den oftmals beschworenen systemischen Nutzen von bidirektionalem Laden in die Anwendung zu bringen, sind deutlich dickere Bretter, gerade auf der regulatorischen Ebene, zu bohren. Hier ist weiterhin Geduld gefordert.

Über Steffen Bechtel

Profilbild zu: Steffen Bechtel

Im Cluster EEHH bin ich seit Februar 2022 für die Themenbereiche Sektorenkopplung und erneuerbare Wärme zuständig. Ich bin Ingenieur mit dem Schwerpunkt Energietechnik und arbeite mit großer Freude daran, die Energiewende in Hamburg voranzubringen.

von Steffen Bechtel