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Problematischer Stillstand Eine Übersicht zu offenen Energie-Gesetzgebungsverfahren
Unabhängig davon, ob man den Bruch der Ampelkoalition jetzt bejubelt, bedauert oder gar gleichgültig zur Kenntnis nimmt, bedeutet er Ungewissheit oder gar das Aus für wichtige und dringende Gesetzgebungsverfahren in allen Bereichen der Energiewende.

Schluss, aus, vorbei. Seit dem 06. November 2024 ist klar, dass die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP nicht weitergeführt wird. An dieser Stelle könnte jetzt ein Beitrag stehen, der Bilanz zieht – von neuer Ausbaudynamik bei den Erneuerbaren Energien, über zähes Vorankommen der Wasserstoffwirtschaft bis zu den Turbulenzen rund um das Gebäudeenergiegesetz. Für die Energiewirtschaft ist der Blick nach vorne allerdings deutlich relevanter. Denn unabhängig davon, ob man den Bruch jetzt bejubelt, bedauert oder gar gleichgültig zur Kenntnis nimmt, bedeutet er Ungewissheit oder gar das Aus für wichtige und dringende Gesetzgebungsverfahren in allen Bereichen der Energiewende.
Es ist keine ungebremste Kollision mit der Wand, die die Energiewirtschaft hier erfährt, denn es gab bereits zuvor Uneinigkeiten in der Koalition, die immer wieder zu Verzögerungen in Verfahren geführt haben – beispielhaft kann das Solarpaket I genannt werden. Natürlich ist es nachvollziehbar, dass die Verbände jetzt für parteiübergreifenden „Pragmatismus“ werben, um Stillstand und weitere Verunsicherung zu vermeiden. Aber ist das realistisch? Ein „Zusammenrücken für das große Ganze“ setzt voraus, dass es ein einheitliches Verständnis von prioritären Maßnahmen jenseits parteipolitischer Taktik gibt. Die Entwicklungen der letzten Tage lassen nicht darauf schließen, dass es zu einer entsprechenden Wendung kommen wird. Daher dürften nur Vorhaben umgesetzt werden, bei denen großer zeitlicher Druck herrscht und gleichzeitig parteiübergreifende Einigkeit bereits vorliegt. Ein kurzer Überblick:
EE-Ausbau und EnWG-Novelle
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien bildet die Grundlage der Energiewende, die weitere Ausbaudynamik zu sichern ist daher wichtig. Die EU hat im Rahmen der RED III-Richtlinie Maßnahmen für schnellere Genehmigungsverfahren für Windkraft und Photovoltaik, aber auch für Speicher und Elektrolyseure beschlossen, die noch in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Da die Frist bis zum 21. Mai 2025 läuft, dürfte die Umsetzung nicht oberste Priorität haben. Die problematische Situation der Biogasanlagen wird vorerst unverändert bleiben. Da für die angekündigte Reform der Biogas- und Biomasseförderung noch kein Entwurf vorliegt, sollte hier ebenso wenig passieren.
Auch die angedachte umfassende Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) beinhaltet zahlreiche Regelungen, die die Erneuerbaren Energien betreffen, unter anderem dringend benötigte Standardisierungen bei Netzanschlussverfahren, die mögliche Überbauung von Netzverknüpfungspunkten oder lang erwartete Definitionen zum Energy-Sharing. Die Umsetzung dieses EnWG-Entwurfes ist nicht zu erwarten. Offen ist, ob Regierung und Opposition sich auf Teilaspekte verständigen können.
Kraftwerksstrategie und Netzentgelte
Ein weiteres großes Thema ist die Zukunft des Kraftwerkssicherheitsgesetzes bzw. der Kraftwerksstrategie. Mit den Ausschreibungen von Gas- und Wasserstoffkraftwerken Anfang 2025 sollen Kapazitäten aufgebaut werden, die flexibel agieren und somit besser in ein von Erneuerbaren Energien dominiertes System passen als Kohle und Atomkraft. Trotz monatelanger Apelle der Verbände fehlen nach wie vor wichtige Eckpunkte der Kraftwerksstrategie und des dazugehörigen Kapazitätsmarktes, für den das BMWK Ende September Ausgestaltungsoptionen definiert hatte. Je länger die Ausschreibungen dauern, desto unwahrscheinlicher wird ein Kohleausstieg bis 2030. Dies hätte wiederum komplexe Folgeauswirkungen auf Strommärkte, Strompreise und den Handel mit Emissionszertifikaten. Für Letzteren würden weiterlaufende Kohlekraftwerke zur Verknappung beitragen und somit die Zertifikatspreise der Industrie erhöhen. Da auch die Bundesländer gesteigertes Interesse an der Kraftwerksstrategie haben, ist eine Einigung möglich.
Für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft und eine spätere Umrüstung der Kraftwerke von Erdgas auf Wasserstoff ist das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz wichtig. Ob das weit fortgeschrittene Gesetz jetzt wirklich kommt, ist offen.
Für das Thema Netzentgelte (Strom) laufen bei der Bundesnetzagentur derzeit zwei Vorhaben. Ein Verfahren soll zu einer regional gerechteren Belastung durch Netzentgelte führen. In der aktuellen Praxis zahlen Regionen mit hohen Anteilen an Erneuerbaren Energien auch vergleichsweise hohe Netzentgelte. Das zweite Verfahren beschäftigt sich mit einer Neustrukturierung der individuellen Netzentgelte für Industriekunden (§19 StromNEV), um Flexibilitätspotenziale zu erschließen. Da die Bundesnetzagentur über die letzte EnWG-Reform Ende 2023 größere politische Unabhängigkeit erhalten hat (Umsetzung europarechtlicher Vorgaben), kann sie die Verfahren auch eigenständig weiterführen.
Wärmewende
Die Wärmebranche wartet auf mehrere Vorhaben, deren Umsetzung teils dringend sind. Dazu gehört vor allem die Verlängerung des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes (KWKG), ein zentrales Fördergesetz für die Fernwärme. Da das Gesetz aktuell Ende 2026 ausläuft, sind neue Projekte von einer Verlängerung abhängig. Da die ehemaligen Koalitionspartner sich auf eine Verlängerung bis 2028 geeinigt hatten und von Seiten der CDU/CSU ein Antrag auf eine Verlängerung bis 2030 ins Parlament bringt, sollte eine zeitnahe Einigung möglich sein. Anders sieht es bei der Novelle der „Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme“ (AVBFernwärmeV) aus. Da der Kabinettsbeschluss vor dem Bruch der Koalition noch ausstand, ist das weitere Verfahren fraglich. Zentral für die Fernwärmebranche ist außerdem die Reform der Wärmelieferverordnung (WärmeLV), für die allerdings noch kein Referentenentwurf vorliegt, weshalb auch hier keine schnellen Beschlüsse zu erwarten sind. Mit dem Geothermiebeschleunigungsprozess (GeoWG) hatte sich bereits der Bundesrat befasst, allerdings noch Änderungsbedarf angemeldet. Ob das Gesetz noch kommt, ist ebenso fraglich.
Bessere Chancen hat wiederum die Änderung des Kohlenstoffspeichergesetzes (KSpG), für das es bereits im Bundestag eine Anhörung gab. Da das Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2025 auch für die nächste Ausschreibung der Klimaschutzverträge relevant ist, scheint eine Einigung möglich.
Fazit
Auch wenn diese Auflistung nicht vollständig ist, so ist die Fülle an Verfahren mit unklarer Fortführung beachtlich. Eine neue Regierung ist nicht an die Vorhaben ihrer Vorgänger gebunden, muss also vorliegende Referenten- und Gesetzesentwürfe nicht zwingend aufgreifen. Die meisten der aufgeführten Verfahren sind nicht „nice to have“, sondern die Voraussetzung dafür, dass die Energiewende an Fahrt aufnimmt, sei es beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, für den ein angepasstes Marktdesign benötigt wird, fürden Ausbau und die Transformation der Fernwärme oder den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft. Der Stillstand verursacht erhebliche Verunsicherungen und Schäden, die wahrscheinlich erst zu einem späteren Zeitpunkt beziffert werden können.