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Pionierarbeit in der Biogasbranche – Gasertragssteigerung mittels H2-Zufuhr

Wasserstoff hat vielfältige Anwendungsszenarien im Energiesystem der Zukunft: Industrie, Energiespeicherung und Mobilität beispielsweise. Mit der Methanertragssteigerung in der Herstellung von Biogas hat die SHR hat ein neues Anwendungsszenario erschlossen. Marcel Schröder, Projektingenieur MVR Müllverwertung Rugenberger Damm GmbH, gibt einen Einblick in den Prozess der Biogasgewinnung, berichtet über die Inbetriebnahme des Elektrolyseurs und beleuchtet Chancen und Herausforderungen des Projekts.

Pionierarbeit in der Biogasbranche – Gasertragssteigerung mittels H2-Zufuhr
Anlieferung des Elektrolyseurs im Jahr 2024. Die erfolgreiche Inbetriebnahme erfolge im Oktober diesen Jahres.

Im vergangenen Jahr berichteten wir über den Prozess der Methanisierung durch Wasserstoffzufuhr, den der SRH-Konzern gemeinsam mit der TU Hamburg im Rahmen des Energiewende-Verbundprojekts Norddeutsches Reallabor (NRL) am Biogas- und Kompostwerk Bützberg erprobt hat. Was bereits mit gelieferten H2 funktionierte, wird jetzt in einem integrierten System getestet. Die SHR produziert eigenen grünen Wasserstoff, speist diesen in die Biogasanlage ein und steigert so die Effizienz der Gasproduktion.

 

Interview mit Marcel Schröder, Projektingenieur bei der MVR Müllverwertung Rugenberger Damm GmbH einer hundertprozentigen Tochter der Stadtreinigung Hamburg (SRH), zum Elektrolyse-Projekt am Biogas- und Kompostwerk Bützberg

Hinweis: Das Interview wurde am 27. Juli 2025 geführt.

Vom Labor in den Realbetrieb

EEHH: Der Einsatz von Wasserstoff zur Effizienzsteigerung bei der Biogasproduktion ist ein Novum. Können Sie den Prozess und den Nutzen von H2 in diesem kurz umreißen?

Marcel Schröder:
Bei der biologischen in Situ Methanisierung – so wird dieser Prozess genannt – wandeln Mikroben Wasserstoff (H2) und Kohlendioxid (CO2) in Methan (CH4) um. Geringe Mengen Wasserstoff entstehen bereits bei den biologischen Abbauprozessen, also der Fermentation, werden jedoch unmittelbar wieder verstoffwechselt. Unser Ansatz besteht darin, durch Zufuhr von zusätzlichem Wasserstoff den Mikroben mehr „Nahrung“ bereitzustellen und so den Methanertrag aus der Verstoffwechslung von H2 und CO2 zu erhöhen.

 

EEHH: Im Rahmen des Norddeutschen Reallabors (NRL) wurden zunächst Laborversuche durchgeführt. Lassen sich die Ergebnisse und optimalen Verhältnisse von H2 & CO2 in der realen Anlage replizieren?

Marcel Schröder: Dazu kann ich derzeit noch keine belastbaren Aussagen treffen, da der Forschungsbetrieb noch nicht begonnen hat. Wir planen ab September 14 Fermenter mit H2-Zufuhr zu betreiben. Jedoch kann gesagt werden, dass wir in den Flaschenvorversuchen Q3/Q4 2024 Messreihen gesehen haben, die eine biologische Methanisierung im in Situ-Verfahren in unserer Biogasanlage geglückt sind. Derzeit entwickelt die Universität mit Hilfe eines mathematischen Modells, ADM1 - Simulationsmöglichkeit für anaerobe Vergärung mit einer Vielzahl von Reaktorkonfigurationen. Hierfür fließen die Erkenntnisse aus den Flaschenvorversuchen in der Biogasanlage und die Reaktorversuche im Labor mit ein. Sollte das Simulationsergebnis positiv ausfallen, testen wir dieselben Parameter im Realbetrieb. So kann der begrenzte Forschungszeitraum effektiv genutzt werden.

Ich setze mich außerdem dafür ein, diese Forschungsversuche über ein Jahr fortzuführen, damit saisonale Unterschiede im Inputmaterial wie Laub, Grünschnitt oder Fallobst berücksichtigt werden.

Der Grundstein für den Elektrolyseur an der Biogasanlage wurde 2024 gelegt. Credit: Thorge Huter

Projektherausforderungen und Inbetriebnahme

EEHH: Momentan läuft die Inbetriebnahme des Elektrolyseurs für die Herstellung des benötigten grünen Wasserstoffs. Welche Lehren ziehen Sie aus dieser Projektphase?

Marcel Schröder: 2024 wurde eine teilfertige Anlage angeliefert – zahlreiche Anlageaggregate sowie der elektrische Ausbau fehlten noch. Um nachfolgende Bauaktivitäten nicht durch eine spätere Anlieferung zu stören, wurde eine Lieferung im Frühen-Bauzustand gewählt. Die Endmontage musste auf unserem Betriebsgelände erfolgen. Rückblickend wäre es effizienter gewesen, die Anlage beim Hersteller Friedrich Vorwerk vollständig fertigzustellen und erst danach die Anlieferung anzugehen.

Lieferengpässe, parallel stattfindende Baumaßnahmen am Standort, defekte Komponenten und geänderte Lieferbedingungen waren konkrete Herausforderungen, welche den Prozess der Inbetriebnahme verzögerten. Die Vielzahl an Hürden zeigt die Komplexität dieses Projekts und wie wichtig eine agile und lösungszentrierte Arbeitsweise ist.

 

EEHH: Wann haben Sie die Anlage erstmalig in Betrieb genommen?

Marcel Schröder: Im Dezember 2024 haben wir die Elektrolyseanlage erstmalig auf Funktionsfähigkeit getestet und haben kurzzeitig eine maximale Last von 42% erreicht (Stichwort: Per Anhalter durch die Galaxis). Circa 80 Prozent der Anlagentechnik wurden dabei nicht miteinbezogen, da der Test über einen Ausbläser absolviert wurde. Dabei wurden die zuvor genannten Probleme identifiziert, sodass die Anlage zu diesem Zeitpunkt nicht abnahmefähig war. Seit dem Frühjahr konnten wir einen Großteil der Mängel beheben. Im März haben wir eine Prüffahrt unter Volllast für eine Stunde durchgeführt. Auf Basis der dabei gewonnenen Betriebsdaten hat der Hersteller im April und Mai weitere Optimierungspunkte identifiziert, die aktuell umgesetzt werden, sodass wir im September eine Leistungsfahrt und die Abnahme anvisieren.

Hinweis: Seitdem 10. Oktober ist die Elektrolyseanlage offiziell in Betrieb und der Forschungsbetrieb ist angelaufen. Die ersten Auswertungen der Messreihen werden zu Ende November angepeilt.

EEHH: Welche Nebenströme (z. B. Abwärme, Sauerstoff) fallen an, und können diese genutzt oder rückgeführt werden?

Marcel Schröder: Der Förderantrag für dieses Projekt hat die Nutzung der Nebenströme Abwärme und Sauerstoff im Rahmen des NRL nicht vorgesehen. Sollte die Anlage im Forschungsbetrieb positiv ausgewertet werden, funktionsfähig sein und einen wirtschaftlichen Mehrwert bieten, werden wir Abwärme sowie Sauerstoff in unserem System nutzen. Den puren Sauerstoff könnten wir einsetzen, um die Lebensdauer unserer Aktivkohlefilter zu erhöhen oder den Verrottungsprozess effizienter zu gestalten, die Abwärme könnte in eine Nahwärmeleitung direkt neben der Elektrolyse-Anlage zugeführt werden.

 

Mit Inbetriebnahme des Elektrolyseurs wird der Biogasanlage Wasserstoff zugeführt_ Credit Böthling

Zusammenarbeit im Projekt

EEHH: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Hersteller der Elektrolyseanlage, Friedrich Vorwerk?

Marcel Schröder: Unser Elektrolyseur ist die erste Anlage von Friedrich Vorwerk in der Größenordnung von einem Megawatt, die extern verkauft wurde – ein wichtiger Meilenstein. Die Zusammenarbeit zeichnet sich durch ein hohes Maß an Engagement, technischer Kompetenz und Innovationsgeist seitens Vorwerk aus. Gemeinsam durchlaufen wir derzeit die wichtige Anlauf- und Lernphase, in der wir wertvolle Betriebsdaten und Erfahrungen sammeln. Vorwerk unterstützt uns dabei mit großem Einsatz im Rahmen eines Servicevertrags: lösungsorientiert, transparent und jederzeit verlässlich.

Besonders beeindruckt mich, wie schnell Vorwerk auf neue Herausforderungen reagiert und wie offen das Projektteam seine Expertise teilt. Diese enge Kooperation ermöglicht es, die Anlage kontinuierlich zu optimieren und gleichzeitig die Basis für zukünftige, noch effizientere Projekte zu schaffen. Kurz gesagt: Wir profitieren nicht nur von einer leistungsstarken Technologie, sondern auch von einem Partner, der mit Professionalität und Leidenschaft zum Erfolg dieses Vorhabens beiträgt.

 

EEHH: Der Elektrolyseur ist ein Teil des Projekts – der produzierte Wasserstoff soll in die Biogasanlage eingespeist werden. Wo steht das Projekt bei diesem Teilprozess?

Marcel Schröder: Im Mai haben wir erstmals größere Mengen Wasserstoff aus der Elektrolyseanlage in die Biogasanlage eingespeist, um unsere Wasserstoffsteuerung zu testen. Dabei stellten wir fest, dass der Schwefelwasserstoffsensor in der Einspeiseanlage eine Querempfindlichkeit gegenüber Wasserstoff aufweist. Das führt dazu, dass der Sensor bei erhöhter Wasserstoffkonzentration eine Schwefelwasserstoffkonzentration vermutet und die Anlage in Störung schaltet, da die Einspeisequalität nicht eingehalten werden. Aktuell tauschen wir den Sensor aus und passen die Abschaltmatrix entsprechend an. Ziel ist es, im September einen störungsfreien Betrieb der Biogasanlage zu ermöglichen und den automatisierten Forschungsbetrieb aufzunehmen.

Hinweis: Der automatisierte Forschungsbetrieb wird aufgrund der anhaltenden Schwierigkeiten in der Biogaseinspeiseanlage modifiziert und wird Ende Oktober wieder gestartet.

 

EEHH: Welche Rolle nimmt Ihr Projekt im Kontext des NRL ein und wie profitieren Sie konkret vom Austausch im Verbundprojekt?

Marcel Schröder: Wir profitieren sehr stark vom Austausch im NRL. Beispielsweise ist es uns gelungen, über einen assoziierten Partner grünen Wasserstoff in Flaschenbündeln zu beziehen, welchen wir im Testzeitraum (September-Dezember 2024) benötigten. Grüner Wasserstoff in Flaschenbündeln war damals ein Novum, dies erkannten wir bei den Anstrengungen, einen Lieferanten zu finden, die nach geschätzten sechs Monaten ergebnislos verlaufen. Ähnlich verhielt es sich mit dem Bezug von Strom via PPA (Power Purchase Agreement): Über das Konsortium konnten wir einen geeigneten Lieferanten für Grünstrom identifizieren. Auch Fragen zu Regulatorik und Betriebserfahrung konnten im Rahmen des Verbundprojekts geklärt werden. Besonders wertvoll ist für uns der direkte fachliche Austausch mit anderen Elektrolyseur-Betreibern: Wir haben bereits eine Exkursion bei uns vor Ort durchgeführt und planen in naher Zukunft einen Gegenbesuch bei einem Partnerunternehmen.

 

EEHH: Wie sind Ihre Erfahrungen als Projektingenieur in einem öffentlichen Unternehmen im Kontext solcher Projekte?

Marcel Schröder: Öffentliche Unternehmen sind naturgemäß nicht immer für ihre Innovationskraft bekannt. Meine Erfahrung zeigt jedoch, dass sie häufig als „First Mover“ neue Wege in Richtung Klimaneutralität beschreiten. Bei der Stadtreinigung konnte ich selbst erleben, dass öffentliche Unternehmen bereit sind, Innovationsprojekte anzustoßen und damit auch Marktsignale zu setzen. Der öffentliche Sektor kann etwas bewegen und muss nicht immer auf die Privat-Wirtschaft warten. Die SRH verfolgt das Elektrolyseprojekt konsequent weiter – trotz genannter Hürden. Die wirtschaftliche Betrachtung erfolgt während des automatisierten Forschungsbetriebs, hierzu stehen wir in einem engen Austausch mit den Expert:innen aus dem Konsortium des Norddeutschen Reallabors, die uns hierbei unterstützen. Jedoch zählt in diesem Projekt der Wille, Umsetzung und Ergebnisse für die Forschung zu erzielen, die einen Einfluss auf die Biogasbranche haben kann. Ich bin sehr froh ein Teil des Team Orange zu sein, welches Vielfalt, Mut, Innovationskraft und Willen ausstrahlt etwas zu verändern.

Im Interview

Marcel Schröder, Projektingenieur MVR Müllverwertung Rugenberger Damm GmbH, ist zuständig für das Projekt "Norddeutsches-Reallabor" am Biogas- & Kompostwerk Bützberg und verantwortet den Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur für die biologische Methanisierung im Gärprozess (In-situ Verfahren). Sein Ingenieursstudium (MA) schloss er an der Universität Osnabrück ab und ist seit 2021 für die Stadtreinigung Hamburg tätig. ©Jörg Böthling

Über Tim Zeige

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Als Projektleiter Wasserstoffwirtschaft Norddeutsches Reallabor (NRL) & operative Begleitung der Norddeutschen Wasserstoffstrategie (NDWS) unterstütze ich das Team der EEHH vielfältig: (B2B) Kommunikation & Marketing, Redaktionelle Tätigkeiten Events uvm. Besonders treibt es mich an meine Fähigkeiten einzusetzen, um innovativen Technologien wie Wasserstoff eine Bühne zu bieten.

von Tim Zeige