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Nachhaltige Mobilitätswende für Deutschland? Wahlprogramme im Vergleich Bundestagswahl 2021

Mobilität der Zukunft - wie werden wir uns fortbewegen und welchen Stellenwert haben die unterschiedlichen Verkehrsträger? Dies sind wichtige Fragen für die Parteien in der kommenden Wahl. Wir stellen die unterschiedlichen Positionen vor.

Nachhaltige Mobilitätswende für Deutschland? Wahlprogramme im Vergleich
Welche Rolle spielt der Individualverkehr in Zukunft? Mediaserver Hamburg / imagefoto.de

Deutschlands Verkehr schadet dem Klima. Er verursacht 20 Prozent der nationalen Emissionen. Davon entfallen 95 Prozent auf den Straßenverkehr, wobei der Automobilsektor besonders belastend auf Umwelt und Atmosphäre wirkt. Trotz strengerer Abgasverordnungen und einem stetigen Energieeffizienzzuwachs stiegen die gesamten Kohlendioxid-Emissionen zwischen 1995 und 2019 um 5,1 Prozent. Ursache dafür ist die Zunahme des Motorisierungsgrads und der Reiseintensität in Deutschland. Mittlerweile besitzen rund 77 Prozent aller deutschen Haushalte mindestens einen Pkw, in jedem vierten Haushalt sind es sogar zwei oder mehr. Fast 80 Prozent der Fahrleistung in Deutschland wird mit dem Auto erbracht. Im Vergleich spielen öffentliche Verkehrsmittel wie Bus und Bahn mit insgesamt 15 Prozent eine untergeordnete Rolle.  

Eine steigende Pkw-Nutzung bedeutet nicht nur mehr Treibhausgase. Sie wirkt sich auch negativ auf Natur und Landschaft und auf die Verkehrssicherheit, Gesundheit und Lebensqualität von Menschen aus.  

Die aktuelle deutsche Verkehrspolitik wird diesen Herausforderungen nicht gerecht. Sie ist zu stark am motorisierten Individualverkehr orientiert und setzt ihren Schwerpunkt bislang auf die technische Optimierung, mit anderen Worten, auf die Elektrifizierung des Automobilverkehrs und die Bereitstellung alternativer Kraftstoffe. Ohne Frage stellen diese Instrumente einen wichtigen Baustein für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors dar. Eine umweltgerechte Mobilitätspolitik greift allerdings weiter und widmet sich systemischen Herausforderungen. Wichtige Zielgrößen sind die Vermeidung und Verlagerung von Verkehr - also die Abhängigkeit vom Auto zu überwinden -, den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Stromnetze voranzutreiben, vermehrt in Digitalisierung, nachhaltiges Ressourcenmanagement und Materialverwertung zu investieren und Privilegien für den kohlenstoffreichen Automobilverkehr abzuschaffen. Letzteres gilt sowohl für Antriebstechnologien, Kraftstoffe und Infrastrukturen als auch für die etablierten Akteure der Branche.  

Wenn es die aktuell zur Wahl stehenden Parteien mit der Mobilitätswende ernst meinen, werden sie sich an diesen Kriterien orientieren und messen lassen müssen. Die folgende Analyse der einzelnen Wahlprogramme gibt erste Aufschlüsse. Sie ist in alphabetischer Reihenfolge geordnet.   

AfD 

Gegenteilig zum Konzept der umweltgerechten Mobilitätswende, spricht sich die AfD explizit für den Schutz des motorisierten Individualverkehrs aus. Damit verbunden ist die Bereitstellung zusätzlicher Verkehrsinfrastruktur und die Ablehnung von Dieselfahrverboten und sogenannten Umweltspuren. Die Automobilindustrie soll als Leitindustrie erhalten werden, und das unter technologieoffenen Bedingungen. In diesem Zusammenhang kritisiert die AfD die ihrer Ansicht nach einseitige Bevorzugung der Elektromobilität und die auf EU-Ebene etablierten CO2-Flottengrenzwerte für die Automobilindustrie. Synthetische Treibstoffe werden als mögliche Alternative in Betracht gezogen, allerdings nur im Falle, dass die EU-Emissionsreduktionsgesetzgebung nicht verhindert werden kann. Der einzige emissionsarme Verkehrsträger, den die AfD unterstützt ist der Schienenpersonenverkehr. Das Schienennetz ist auszubauen, der angestrebte Deutschlandtakt umzusetzen und das Angebot an Hochgeschwindigkeitszügen auszuweiten.  

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 

Im Kontrast zu den Wahlkampfversprechen der AfD steht die Wahlprogrammatik der Grünen. Gleich in den ersten Zeilen Ihres Mobilitätskapitels erteilen sie der einseitigen Bevorzugung des Autos eine Absage. Sie setzen sich für eine faire Balance von Verkehrsmitteln ein, möchten daher den Ausbau von Bahn, ÖPNV, Fahrrad- und Fußgängerwegen in den Vordergrund rücken und gleichzeitig den Autoverkehr verringern und emissionsfrei gestalten. Bis 2030 soll es für alle Menschen in Deutschland möglich sein, die Hälfte ihrer Wege zurückzulegen, ohne in einen Pkw fahren zu müssen. Die anderen 50 Prozent sollten möglichst mit einem elektrisch betriebenen Fahrzeug und über die Nutzung von Car-Sharing oder Car-Pooling-Angebote bewältigt werden. Deshalb setzen sich die Grünen dafür ein, den Anteil von E-Autos bis 2030 auf mindestens 15 Millionen Fahrzeuge anzuheben, die Ladeninfrastruktur weiter auszubauen und die Entwicklung neuer Mobilitätsdienstleistungen zu stärken. Der Ausbau der erneuerbaren Energien gilt hierbei als notwendige Bedingung.  Zur besseren Verknüpfung aller Mobilitätsalternativen schlagen sie die Einführung eines sogenannten Mobilpasses vor. Zudem plädieren sie für ein Bundesmobilitätsgesetz, um einen einheitlichen Rechtsrahmen zu schaffen. Auch werden eine Reihe regulatorischer Einschränkungen für den motorisierten Individualverkehr vorgeschlagen: die Abschaffung von Dieselsubventionen, die Einführung von Tempolimits, die vorzeitige Erhöhung des CO2-Preises auf 60 Euro in 2023, den Stopp von umweltschädlichen Straßenbauprojekten, eine City-Maut oder Nahverkehrsabgabe und die Schaffung zusätzlicher Privilegien für Fuß- und Fahrradfahrer sowie mehr Raum für Grünflächen und verkehrsberuhigte Zonen.  

CDU/CSU 

Das Wahlprogramm der Union versucht den Spagat zwischen alt und neu zu meistern. Auf der einen Seite steht das Automobil für CDU/CSU weiterhin im Mittelpunkt der Mobilitätswende, und zwar mit allen Antriebsformen. Ein Dieselfahrverbot und ein generelles Tempolimit lehnen sie daher ab, wollen sich allerdings stärker für die Modernisierung der Automobilindustrie einsetzen, insbesondere mit Hilfe von Elektromobilität und synthetischen Kraftstoffen. Auf der anderen Seite sprechen sie sich für größere Wahlmöglichkeiten zwischen den Verkehrsangeboten aus und betonen wie wichtig die Vernetzung und Digitalisierung von Mobilitätsformen für ein nachhaltiges Mobilitätssystem ist. Daher sieht die Union vor, den ÖPNV und den Personenschienenverkehr zu stärken, die Rad- und Fußwege auszubauen, den öffentlichen Verkehr um Pooling-Angebote und Bedarfshalte zu ergänzen und über die Entwicklung von sogenannten Mobilitätsstationen eine engere Verzahnung mit dem motorisiertem Individualverkehr zu ermöglichen. Weitere Instrumente stellen die Einrichtung von Reallaboren der Zukunftsmobilität und die Förderung von Startups und wissenschaftlichen Einrichtungen dar.  

Die Linke  

Bei den Linken steht das öffentliche Mobilitätsangebot im Mittelpunkt ihrer Wahlkampagne. Es geht ihnen vor allem um Fragen der Bezahlbarkeit und Barrierefreiheit. Somit propagieren sie nicht nur die Förderung von Bus und Bahn, sondern auch eine schrittweise Minderung der Fahrpreise und bessere Anbindungen zu ländlichen Regionen. Übergreifendes Ziel ist die Einführung des solidarisch finanzierten Nulltarifs im ÖPNV und einer Mobilitätsgarantie für den ländlichen Raum. Am besten gelingt dies nach Angaben der Linken über kommunale, demokratisch kontrollierte Nahverkehrsunternehmen.  Den Angeboten von privaten Dienstleistern, wie Uber und Co, stehen sie kritisch gegenüber. Scharf ins Gericht gehen sie auch mit den großen Autokonzernen, weil sie am Individualverkehr festhalten und ausschließlich auf den Antriebswechsel bauen würden. Entsprechend setzt sich Die Linke für ein Neuzulassungs- und Exportverbot von Verbrenner-Pkws ab 2030 sowie für ein Werbeverbot für CO2-emittiernende Autos ein.  

FDP 

Die FDP legt ihren programmatischen Fokus auf Innovationen statt auf Verbote, auch im Bereich der Mobilität. Daher lehnen die Liberalen Tempolimits, Diesel- oder Motorradfahrverbote genauso ab wie ein pauschales Verbot von Verbrennungsmotoren. Gleiches gilt für den kürzlich etablierten nationalen Emissionshandel. Ihr Gegenvorschlag lautet den Europäischen CO2-Emissionshandel auf den gesamten Verkehrssektor auszuweiten, welcher eine Deckelung des Gesamtausstoßes an Klimagasen garantieren würde. Auf intelligente und innovative Verkehrslenkung zu setzen, bietet nach Angaben der Liberalen größere Potenziale für die Erreichung eines umweltfreundlichen Verkehrsflusses. Auch wollen sie sogenannte Sprunginnovationen wie das autonome Fahren, das Hochgeschwindigkeitssystem Hyperloop, Drohnen und Flugtaxis vorantreiben, indem sie die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür entwickeln und Zulassungs- und Testverfahren für neue Ideen vereinfachen.  

SPD 

Die Mission der Sozialdemokraten lautet eine klimaneutrale Mobilität für alle zu schaffen. Dahinter verbirgt sich ein Maßnahmenmix, der sowohl die Elektromobilität, die großangelegte Batterieproduktion in Deutschland und emissionsarme alternative Kraftstoffe ankurbelt, als auch die Stärkung des öffentlichen Personennah- und des Schienenverkehrs vorsieht, wobei Letzteres den Schwerpunkt ihrer verkehrspolitischen Agenda darstellt. Laut Wahlprogramm setzt sich die SPD dafür ein, bis 2030 75 Prozent des Schienennetzes zu elektrifizieren und den Einsatz von wasserstoffbetriebenen Zügen zu unterstützen. Ein Mobilitätsplan 2030 soll die Leitplanken zur Umsetzung dieser Strategie bereitstellen. Erste konkrete Vorschläge sind ein bundesfinanziertes Flotten-Austauschprogramm, zusätzliche Förderung für Modellprojekte, die einen ticketfreien Nahverkehr erproben und Änderungen im Straßenverkehrsrecht, die es Kommunen und Städten leichter macht, mehr Flächen für den öffentlichen Verkehr, Fußgänger*innen und Radfahrer*innen zu schaffen.  

Quellen: 

Sachverständigenrat für Umweltfragen (2005): Umwelt und Straßenverkehr. Hohe Mobilität – Umweltverträglicher Verkehr. Online-Zugang (27.08.2021): https://www.umweltrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/02_Sondergutachten/2004_2008//2005_SG_Umwelt_und_Strassenverkehr.pdf?__blob=publicationFile 

Statistisches Bundesamt (2021): Straßenverkehr: EU-weite CO2-Emissionen seit 1990 um 24 % gestiegen. Online-Zugang (27.08.2021): https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Umwelt-Energie/CO2_Strassenverkehr.html#:~:text=Pkw%20verursachen%20den%20gr%C3%B6%C3%9Ften%20Anteil%20Rund%20888%20Millionen,26%20%25%2C%20weitere%2013%20%25%20auf%20leichte%20Nutzfahrzeuge. 

Umweltbundesamt (2021): Emissionen des Verkehrs. Online-Zugang (27.08.2021): https://www.umweltbundesamt.de/daten/verkehr/emissionen-des-verkehrs#-das-mehr-an-pkw-verkehr-hebt-den-fortschritt-auf  

Umweltbundesamt (2021): Mobilität privater Haushalte. Online-Zugang (27.08.2021): https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/mobilitaet-privater-haushalte#-hoher-motorisierungsgrad  

Umweltbundesamt (2019): Mobilität. Gesundheit. Umwelt. Online-Zugang (27.08.2021): https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/mobilitaet-gesundheit-umwelt  

Über Janina Grimm

Profilbild zu: Janina Grimm

Seit März 2020 leite ich das B2B-Marketing von NEW 4.0 im Cluster EEHH. Ob auf dieser Webseite, bei Twitter, via LinkedIn, auf Fachveranstaltungen und Messen - jeden Tag kann ich über das reden und schreiben, was mich am meisten interessiert: Die Entwicklung innovativer Lösungen für eine ganzheitliche und nachhaltige Transformation unseres Energiesystems. Parallel studiere ich meinen Master in Energy Policy. Diese Kombination aus Praxis und Theorie birgt viele tolle Chancen, meine Kenntnisse im Bereich der Erneuerbaren-Energien-Branche und nachhaltiger Energiepolitik zu vertiefen.

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