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Kraftwerksstrategie und Kapazitätsmechanismus Reihe: Inside Energiewende - der (un)-aufgeregte Realtalk.
Zukunftsvisionen für den Strommarkt und drängende Fragen
Mit der angekündigten Kraftwerksstrategie (KWS) widmet sich die Bundesregierung der aktiven Gestaltung des zukünftigen Strommarktes. Flexible, steuerbare Erdgas- und Wasserstoffkraftwerke sollen die Schwankungen von Solar- und Windenergie, wie beispielsweise bei Dunkelflauten, ausgleichen und damit die Versorgungssicherheit garantieren. Ebenso soll die Dekarbonisierung vorangetrieben und über die zusätzlichen Kapazitäten der Kohleausstieg ermöglicht werden. Im Zuge dessen wird ebenso die Veränderung des Strommarktdesigns hin zur Einführung eines Kapazitätsmarktes diskutiert. Die Reformen werden umfassend sein und für viel Aufregung in Fachwelt und Öffentlichkeit sorgen.
Grundlagen der Kraftwerksstrategie
Die Eckpfeiler der KWS wurden von dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) am 05. Februar 2024 vorgestellt und durch eine Einigung zum Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG) am 05. Juli 2024 spezifiziert. Grundlegendes Ziel ist, dass „die Kraftwerksstrategie […] den Rahmen für Investitionen in moderne, hochflexible und klimafreundliche Kraftwerke, die in der Lage sind, zukünftig Wasserstoff nutzen zu können [schafft]“ (BMWK). Hierzu ist beabsichtigt, neue Gaskraftwerke auszuschreiben, welche spätestens nach acht Jahren der Inbetriebnahme auf vorzugsweise grünen Wasserstoff umgestellt werden sollen (planmäßig ab dem Jahr 2035), wobei die genauen Umstellungstermine der Kraftwerke im Jahr 2032 festgelegt werden. Die Nutzung blauen Wasserstoffs und Anwendung von CCS-Technologien sollen ebenso möglich sein.
Insgesamt plant die Bundesregierung 12,5 GW an Kraftwerkskapazität in Kombination mit 500 MW H2-Langzeitspeichern in einem Zwei-Säulen-Vorgehen umzusetzen. Bei der ersten Säule werden 5 GW an „H2-ready“-Gaskraftwerken sowie 2 GW an „H2-ready“-Modernisierungen bereits bestehender Gaskraftwerke ausgeschrieben. Hinzu kommen 500 MW reine Wasserstoffkraftwerke, sogenannte „Wasserstoffsprinter“, und 500 MW an Langzeitspeichern. Hierbei werden die anfänglichen Investitionskosten und die Differenzkosten zum Betrieb mit herkömmlichem Erdgas nach der Umstellung auf Wasserstoff für 800 Vollbenutzungsstunden im Jahr gefördert. In der zweiten Säule werden dann noch einmal herkömmliche Gaskraftwerke von insgesamt 5 GW ausgeschrieben, welche insbesondere zur Absicherung bei Dunkelflauten dienen sollen. Verglichen mit den im Strommarkt derzeit aktiven Gaskraftwerken mit einer Leistung von 31 GW stellen die zusätzlichen 12,5 GW also eine erhebliche Ausweitung der Kapazitäten dar, entsprechen aber nicht den aktiven 27 GW an Stein- und Braunkohlekraftwerken. Das BMWK rechnet damit, dass die ersten Ausschreibungen somit Anfang 2025 auf den Weg gebracht werden können.
Neben der Sicherung der Netzstabilität erhofft sich die Bundesregierung ebenso einen Schub für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, indem die neuen Kraftwerke eine erhöhte Nachfrage und Abnahme von Wasserstoff generieren. Nach Annahmen der Bundesregierung würden die ausgeschriebenen „H2-ready“-Kapazitäten zu einem Verbrauch von etwa 15 TWh pro Jahr führen. In Relation zu der erwarteten Nachfrage, welche vom Nationalen Wasserstoffrat auf circa 160 TWh für das Jahr 2035 geschätzt wird, würde der Verbrauch ungefähr 9% des Gesamtbedarfs an Wasserstoff in Deutschland ausmachen.
Positive Wahrnehmung der Kraftwerksstrategie bei gleichzeitiger Betonung der Dringlichkeit
Grundlegend wird die KWS positiv von den verschiedenen Akteuren der Energiebranche aufgefasst. Allerdings verweisen die Verbände auf die Dringlichkeit der zeitnahen Klärung von Details, damit die Planungen beginnen und zusätzliche Kosten vermieden werden können. Da die Kapazitäten ab 2030 benötigt werden drängt die Zeit tatsächlich. Die Umweltverbände weisen darauf hin, dass nur eine vollständige Umstellung auf grünen Wasserstoff klimatechnisch sinnvoll sei, und kritisieren die mögliche Nutzung von blauem Wasserstoff und CCUS-Technologien. Nahezu alle Verbände stellen, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven, die Frage, ob ein ausreichendes und kosteneffizientes Angebot von klimaneutralem Wasserstoff ab 2035 sichergestellt werden kann. Von Seiten des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) wird außerdem angebracht, dass auch erneuerbare, dezentrale Technologien, wie beispielsweise Biomasse, als Backup-Varianten mitgedacht werden sollten. Ebenso wird beispielsweise vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und vom Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung (BKWK) darauf verwiesen, dass KWK-Anlagen bei der KWS mitgedacht werden müssten.
Die KWS, aufgrund ihrer Dringlichkeit vorgezogen, wird sich in eine Reihe von Strommarktreformen einbetten, die in den kommenden Jahren die Ertragsmodelle der Erneuerbaren Energien, Back-Up Kapazitäten, Speichern sowie Flexibilitäten grundlegend verändern werden. Die Ausgangsfrage, wie o.g. Akteure ihre Investitionen an den Energiemärkten refinanzieren, ist dabei sowohl für Anlagen zu beantworten, bei denen die Fixkosten entscheidend sind (Windkraft, PV), als auch für Anlagen, bei denen die variablen Brennstoffkosten (Back-Up Kapazitäten) entscheidender sind. Eine zusätzliche Herausforderung sind gegenseitige Pfadabhängigkeiten bei der Strom-, Wärme- und Mobilitätswende, die Erlös- und somit Investitionsunsicherheiten schaffen. Wie groß wird die Leistung an PV und Wind genau sein? Wie stark werden Wärmepumpen und E-Fahrzeuge den Lastverlauf prägen? Diese und viele weitere Fragen sind nur mit hohen Unsicherheiten zu beantworten. Ein Hauptbestandteil der Lösung soll ein Kapazitätsmechanismus sein, der spätestens ab 2028 sicherstellen soll, dass zusätzlich zu den Erneuerbaren Energien jederzeit ausreichend flexibel steuerbare Leistung zur Verfügung steht.
Der Kapazitätsmechanismus
Im kürzlich vom BMWK veröffentlichten Optionenpapier wird die Komplexität bereits anhand der vorgeschlagenen Bewertungsparameter Versorgungssicherheit, Effizienz, Kosten, Umstellungsaufwand, Anpassungsfähigkeit und Refinanzierung von Kosten deutlich. Eine Kombination aus zentral und dezentral organisierten Elementen, also ein “Kombinierter Kapazitätsmarkt” (KKM) soll hier am vielversprechendsten sein. Zentral organisiert wird die Ausschreibung neu zu errichtender Anlagen, wie es die KWS vorsieht. Europarechtlich müssen die Kosten hierfür über eine neue Stromumlage gedeckt werden. Das dezentrale Element im KKM bildet ein Zertifikatemarkt, in welchem die Anbieter der Zertifikate Erzeugungsanlagen, Speicher und Flexibilitäten sind. Die Bilanzkreisverantwortlichen, vor allem Energieversorger aber ggf. auch größere Industriebetriebe, müssen diese Zertifikate in Höhe ihrer Spitzenlast vorhalten. Auf diese Weise besteht ein Anreiz, die eigene Lastkurve zu optimieren.
In der Theorie klingt der KKM plausibel. Die Praxistauglichkeit muss jedoch mit den verschiedenen Stakeholdern noch im Detail erörtert und validiert werden. Offene Fragen sind beispielsweise, wie die Ausschreibungen der KWS sicherstellen, dass ein systemdienlicher Zubau erfolgt. Flexibel steuerbare Leistungen werden zwar primär in Süd-, aber auch in Norddeutschland benötigt. Auch ist schwer abzuschätzen, zu welchen Preisen Zertifikate gehandelt werden und welche Verhaltensanreize sich daraus sowohl auf Angebots- als auch auf der Nachfrageseite tatsächlich bilden. Aufgrund der hohen Komplexität ist auch zu befürchten, dass Investoren zunächst zurückhaltend und abwartend reagieren. Eine umfassende Reform ist im Sinne der Energiewende allerdings nicht nur unumgänglich, sondern auch zeitnah erforderlich. Bis zum Zeitpunkt der ersten Ausschreibungen der KWS müssen wichtige Details des KKM auf jeden Fall bekannt sein.
H2-Ready?
Um die geplanten Effekte zu erzielen und den Kohleausstieg bis 2030 abzufedern, müssen zeitnah offene Details geklärt und umgesetzt werden, damit Planungssicherheit geschaffen wird. Zudem stellen die Unsicherheiten rund um die zukünftigen Verfügbarkeiten und die Kosten grünen Wasserstoffs ein Risiko für die tatsächlich klimaschonende Wirkung der KWS dar. Das Label „H2-ready“ ist zumindest im Kontext der KWS etwas irreführend, da noch keine Turbinen in der benötigten Größenordnung am Markt sind, welche zu 100% mit Wasserstoff betrieben werden können. Somit müssten auch die nun ausgeschriebenen Kraftwerke in den 2030er Jahren noch einmal modernisiert werden. Der Begriff „H2-Ready“ könnte nur bedeuten, dass die Auslegung der Anlagenkomponenten diese anstehende Modernisierung antizipiert. Somit schafft die KWS, neben ihrem Nutzen, gleichzeitig einen fossilen Lock-In-Effekt, von dem noch nicht klar, ist wann er überwunden werden kann.
Wir werden die Diskussionen zum Strommarktdesign in den kommenden Jahren eng verfolgen und freuen uns auf eine (un)aufgeregete Debatte.