Details
Interview Großbatteriespeicher Interview mit Gerrit Lühring, Bundesverband Energiespeicher Systeme e.V.
Im Interview erläutert Gerrit Lühring die Rahmenbedingungen für Großbatteriespeicher in Deutschland.
EEHH: Stationäre Batteriespeicher sind derzeit eines der meistdiskutierten Themen im deutschen Energiemarkt. Wie würdest du die aktuelle Situation in wenigen Sätzen beschreiben?
Gerrit Lühring: „Das Interesse am deutschen Markt ist groß. Das liegt zum einen an der Größe des Energiemarkts mit seiner hohen Markttiefe und Liquidität sowie an der vergleichsweise starken Preisvolatilität, die den Stromhandel attraktiv macht – ein grundsätzlich positives Signal. Endlich zeigt sich der Ausbau der Erneuerbaren auch im Markt. Um diese effizient zu integrieren, müssen nun dringend Speicher gebaut werden. Dafür braucht es stabile Rahmenbedingungen – die Deutschland (noch) nicht bietet. Gleichzeitig müssen wir in zentralen Bereichen wie Netzanschluss, Genehmigung und Netzentgelten unsere Hausaufgaben machen, um Vertrauen zu schaffen und Investitionen nach Deutschland zu lenken.
Speicher – insbesondere Stromspeicher – folgen dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Die Energiewende und die Dekarbonisierung der energieintensiven Sektoren verändern das Energie- und insbesondere das Stromsystem grundlegend. Speicher sind notwendig, um diese Transformation zu stützen. Sie helfen nicht nur, von erneuerbaren Energien erzeugte Energiemengen zeitlich zu verschieben, sondern können künftig auch die systemstützenden Funktionen konventioneller Kraftwerke übernehmen und in einem erneuerbaren System bereitstellen. Viele Marktbeobachter haben das erkannt, und auch die Politik fordert schon seit Langem mehr Speicher. Glücklicherweise haben sich die Marktbedingungen nun so entwickelt, dass sie das Geschäftsmodell für Speicher stützen und der Energiehandel wirtschaftlich attraktiv geworden ist.“
EEHH: Wie schätzt der BVES das Marktpotenzial bzw. das Marktwachstum für Batteriespeicher in Deutschland bis 2030 ein?
Gerrit Lühring: „Für Großbatteriespeicher gehen wir derzeit von einem Zubau auf rund 20 GW bis 2030 aus. Zum generellen Marktpotenzial gibt es unterschiedliche Schätzungen, die stark von der Marktentwicklung abhängen. Ein guter Anhaltspunkt sind die Projektionen von Energieberatungsunternehmen. Einflussfaktoren sind unter anderem der Ausbau der Erneuerbaren, die Entwicklung anderer Flexibilitäten, Komponentenpreise sowie mögliche Netzrestriktionen ('Rampen'), die Markterlöse beeinflussen können. Neue Märkte – etwa Kapazitätsmechanismen oder neue Produkte – könnten das Potenzial wiederum erhöhen. Konsens ist jedoch: Der Bedarf ist mit 20 GW keinesfalls gedeckt. Die 41 GW, für die die Übertragungsnetzbetreiber derzeit Netzanschlusszusagen erteilt haben, sind ein guter Indikator für den ersten Markthochlauf – das tatsächliche Potenzial liegt aber deutlich darüber. Jetzt ist entscheidend, dass diese 41 GW auch tatsächlich realisiert werden.“
EEHH: Welche Batterie-Technologien sind derzeit führend – und welche neuen Entwicklungen (z. B. Organic-Solid-Flow-, Natrium-Feststoff-Batterien) zeichnen sich ab? Wie schätzt du das mittelfristige Potenzial dieser Technologien ein?
Gerrit Lühring: „Das Spannende an neuen Technologien ist, dass sich ihre Marktdurchdringung kaum vorhersagen lässt. Noch vor wenigen Jahren galten Lithium-Ionen-Batterien als zu teuer und kaum skalierbar – heute werden sie im Gigawattmaßstab produziert und finden vom Auto bis zur Zahnbürste Anwendung. Auch bei alternativen Technologien – etwa Natrium-Ionen- oder Flow-Systemen – handelt es sich um bereits einsatzfähige Lösungen. So wurde in Bremen kürzlich ein 400 kW-Na-Ionen-Speicher in Betrieb genommen. Im besten Fall sehen wir künftig einen ‚Blumenstrauß‘ an Technologien, aus dem Entwickler jene auswählen können, die am besten zu Anwendung und Standort passen. Die Technologie folgt schließlich der Anwendung. Aktuell sehen wir klar einen Trend zu 4-Stunden- und 6–8-Stunden-Speichern. Mit dieser Entwicklung werden dann auch andere Technologien, die stärker auf Kapazität als auf Leistung ausgelegt sind, attraktiver. In diesem Zusammenhang werden beispielsweise auch wieder neue Pumpspeicher geplant.“
EEHH: Welche Entwicklung siehst du bei der Speichertiefe, also der Speicherkapazität pro installiertem MW? Wird sie kurz- bis mittelfristig steigen?
Gerrit Lühring: „Ja, das ist zu erwarten. Besonders mit Blick auf den Handel an der Strombörse – Day-Ahead und Intraday – wird eine größere Speicherkapazität zunehmend attraktiver. Wie bereits erwähnt, sehen wir heute schon Projekte mit bis zu vier Stunden Speicherdauer. Das ermöglicht eine stabilere Versorgung auch bei starken Erzeugungsschwankungen und kann sich wirtschaftlich lohnen. Vor allem Speicher, die direkt an Erneuerbare gekoppelt oder an kleinere Netzanschlüsse gebunden sind, profitieren deutlich von einer höheren Speichertiefe.“
EEHH: Wo liegen derzeit die größten Herausforderungen für stationäre Großbatterien in Deutschland (z. B. BKZ, Genehmigung, Netzanschluss, Netzentgelte, Akzeptanz, Cybersecurity)?
Gerrit Lühring: „Die Herausforderungen bestehen tatsächlich in allen genannten Bereichen. Besonders die teils chaotischen Netzanschlussverfahren bereiten Entwicklern große Sorgen. Aufgrund des Bearbeitungsstaus warten viele Projektierer monatelang, teilweise jahrelang, auf Rückmeldungen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu den Baukostenzuschüssen (BKZ) hat die Branche zusätzlich durchgewirbelt. Der BGH bestätigte, dass Netzbetreiber BKZ erheben dürfen und das Leistungspreismodell der BNetzA anwenden können. Grundsätzlich stellt sich die Branche einer fairen Beteiligung an tatsächlichen Kosten nicht entgegen – entscheidend sind jedoch Höhe, Zeitpunkt und Art der Forderung, und sie sollten zum Produkt Speicher passen. In der Praxis werden BKZ häufig als eine Art ‚Kaution‘ erhoben, was gerade in frühen Projektphasen enorme Belastungen erzeugt. Diese Millionenbeträge sind unter hoher Unsicherheit kaum zu rechtfertigen – das sieht auch die BNetzA in ihren jüngsten ‚Stromspeicher-FAQ‘ so.
Zudem greift der BKZ als Steuerungsinstrument zu kurz, da er nur die Bezugsseite abbildet. Die tatsächliche Fahrweise ist für die Netzstabilität oft entscheidender als die Anschlussgröße. Dynamische Signale wären hier zielführender: Wer sich verpflichtet, flexibel auf Netzzustände zu reagieren, sollte keinen BKZ zahlen müssen. Gleiches gilt für Rampenregelungen: Pauschale Vorgaben zur Lade- und Entladeleistung können Geschäftsmodelle erheblich beeinträchtigen – ohne dass deren Nutzen bisher bewiesen wäre. Wir plädieren daher für situationsspezifische Steuerung statt pauschaler Restriktionen.
Auch bei den Genehmigungsverfahren herrscht ein Flickenteppich. Unterschiedliche Auslegungen trotz bundeseinheitlichen Rechts führen zu Unsicherheiten. Dass einige Länder zusätzliche Anwendungsempfehlungen herausgeben, verstärkt diesen regulatorischen Flickenteppich. Erschwerend kommt hinzu, dass Netzbetreiber oft bereits beim Antrag Baureife-Nachweise verlangen. Das zwingt Entwickler zu immer früheren Genehmigungsschritten – was Verfahren verlängert und Kommunen zusätzlich belastet.“
EEHH: Wie nimmt der BVES die aktuelle Situation bei Netzanschlussanfragen wahr?
Gerrit Lühring: „Diese Berichte erreichen uns regelmäßig. Das hohe Interesse an Speicheranschlüssen scheint die Netzbetreiber momentan zu überfordern. Dabei muss man sagen: Der Trend war absehbar – und ist bereits bekannt aus anderen europäischen Märkten. Diese Versäumnisse müssen jetzt schnell aufgeholt werden, um nicht in eine Flexibilitätslücke zu rutschen. Digitale Verfahren mit festen Fristen für beide Seiten würden deutlich helfen, Kapazitäten besser zu planen und den tatsächlichen Ressourcenbedarf transparent zu machen. Wichtig ist zudem, dass Netzbetreiber Anschlusssuchende auch als Kunden verstehen. Wenn sie aktiv unterstützen, Projekte umzusetzen, reduziert sich automatisch die Zahl unrealistischer Anträge. Doch die Zeit drängt: Wir dürfen den Zubau der notwendigen Flexibilität nicht länger verschlafen.“
EEHH: Wie könnte diese Situation aus Sicht des BVES verbessert werden? Sollte ein Dialogprozess initiiert oder der regulatorische Rahmen durch die BNetzA gesetzt werden?
Gerrit Lühring: „Beides wäre sinnvoll. Ein strukturierter Dialogprozess zwischen Speicherentwicklern und Netzbetreibern – idealerweise moderiert durch das BMWK – könnte viel bewirken. Das Treffen im Januar letzten Jahres war hierfür ein gutes Beispiel; solche Formate sollten verstetigt und institutionell verankert werden. Gleichzeitig braucht es regulatorische Klarheit. Die BNetzA verfügt über Festlegungskompetenzen in vielen Bereichen des Netzanschlusses. Eine klare Richtungsvorgabe – etwa zu Netzanschlussverfahren, BKZ-Erhebung oder flexiblen Netzanschlüssen – würde beiden Seiten Sicherheit geben. Die derzeitige Unsicherheit trifft nämlich auch die Netzbetreiber.“
EEHH: Marktgetriebene Betriebsweise: Wie können Batteriespeicher künftig stärker systemdienlich agieren?
Gerrit Lühring: „Trotz einheitlicher Preiszone korrelieren in Deutschland Strompreise und erneuerbare Erzeugung derzeit noch gut – Speicher reagieren somit indirekt systemdienlich. Eine Aufteilung in Preiszonen, die stärker der Netzstruktur folgt, könnte diesen Effekt deutlich verstärken, ist politisch derzeit aber nicht gewollt. Speicher reagieren sensibel auf Preissignale – nicht nur vom Markt, sondern auch von Netzbetreibern über Systemdienstleistungsabrufe. Um lokale Überschüsse gezielt aufzunehmen, braucht es allerdings lokale Signale.
Das im EnWG § 13k verankerte Konzept ‚Nutzen statt Abregeln‘ zielt zwar in die richtige Richtung, ist in der Praxis aber kaum umsetzbar. Effektiver wären lokale Flexibilitätsmärkte oder eine Erweiterung des Energy-Sharing-Konzepts. Sollte sich die Politik zudem der historischen Aufgabe einer Preiszonenteilung annehmen, würde dies die Systemdienlichkeit von Speichern erheblich stärken.“
Vielen Dank für das spannende Interview!