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In Zeiten politischer Unsicherheit: Erneuerbare Kooperation mit Pragmatismus From Hamburg to the World: Delegationsbesuch aus Minnesota zur Energiewende in Hamburg
Eine zweite Amtszeit von Donald Trump und der Bruch der Ampelkoalition - beides wirft viele Fragezeichen auf. Vor allem die Wirtschaft und Industrie sehen die Energiepolitik an einem Scheideweg: Beschleunigung oder Bremse des erneuerbaren Ausbaus. Wie soll man die internationale erneuerbare Kooperation durch die geopolitischen Krisen nachhaltig steuern? Hamburg und Minnesota zeigen, wie es gelingen kann.

Seit mehr als zehn Jahren führen Hamburg und Minnesota regelmäßige Austausche zu erneuerbaren Themen durch. Im Rahmen des „Berlin Seminar on Energy Policy“ reiste vor wenigen Tagen erneut eine Delegation mit politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Vertreter*innen aus dem nordwestlichen US-Bundesstaat nach Hamburg. Auf Einladung des EEHH-Clusters nahmen Unternehmen der Hamburger Energiewirtschaft an einem Round-Table teil. Im Vordergrund des Termins standen Themen wie dezentrale Energieversorgung, öffentliche Ladeinfrastruktur und die Wärmewende.
Zu Beginn des Tagesprogramms gab Jan Rispens, EEHH-Geschäftsführer, eine Einführung in die erneuerbare Entwicklung in Norddeutschland und Hamburg. Die anschließende Diskussion beschäftigte sich u.a. mit der Regulatorik von einzelnen erneuerbaren Sektoren, On-/Offshore-Windenergie und Solar. Bis 2023 wurde mehr als 4GW Onshore-Windleistung in Minnesota installiert, und damit liegt der Bundesstaat US-weit auf dem siebten Platz beim Windzubau. Zusammen mit mehr als 50% Anteil gelten Kohle und Atomkraft derzeit noch als wichtigste Energiequellen. Knapp 25% des Stroms wird durch Windenergie erzeugt.
Energiewende zum Vorteil der Menschen
Anna Leidreiter, Vorstand der BürgerEnergie Nord eG (BEN), hielt einen Vortrag über die Energiegenossenschaft. Die BEN ist ein genossenschaftlicher Energieversorger, der grünen Strom durch PV-Anlagen auf den Dächern von Mehrfamilienhäusern, kommunalen Liegenschaften und Gewerbeeinrichtungen produziert, verkauft und liefert. Die BEN ist eine von über 900 Energiegenossenschaften in Deutschland, und jedes BEN-Mitglied zahlt einen Anteil von mindestens 250 Euro. Mit diesem Kapital werden Investitionen in die PV-Projekte getätigt. Derzeit betreibt die BEN in Norddeutschland ca. 20 Projekte zur Erzeugung vom Mieter-, Kommunal- und Gewerbestrom.
Das Konzept Mieterstrom ist für die US-Gäste ein Paradebeispiel, wie die Bevölkerung von der Energiewende profitieren kann: da der Strom vor Ort erzeugt wird, entfallen eine Reihe von Zusatzkosten, Entgelten und Steuer, die man für den Eigenverbrauch im Rahmen eines Stromliefervertrags an den Energieversorger tragen muss. Der grüne Strom ist in diesem Fall ca. 10% günstiger. Sollte der Solarstrom nicht ausreichen, z.B. in der aktuellen Dunkelflaute, wird die Versorgung mit klimafreundlichem Ökostrom aus dem öffentlichen Netz gewährleistet. In die Energieversorgung mit dem Solarstrom lässt sich noch der Betrieb weiterer Anlagentechnik wie beispielsweise E-Mobilität und elektrischer Wärmepumpe optimal integrieren.
Mit Elektromobilität in Richtung Klimaneutralität
Seit vielen Jahren arbeitet Hamburg am Ausbau der Elektromobilität, zu der die Entwicklung und Bereitstellung eines bedarfsgerechten Netzes an öffentlichen Ladeinfrastrukturen gehört. Galya Vladova, Senior Project Manager E-Mobilität bei hySOLUTIONS GmbH, erläuterte die Strategie und Maßnahmen im Bereich E-Mobilität aus Hamburger Perspektive. hySOLUTIONS ist ein öffentlich-privates Unternehmen mit Gesellschaftern u.a. aus dem Verkehrssektor und koordiniert die Anwendung von elektrischen Antriebs- und Versorgungssystemen in der Metropolregion Hamburg. Im Rahmen des Hamburgischen Klimaschutzgesetzes entwickelten die Autor*innen einen Fahrplan zum Hochlauf der E-Mobilität.
Der aktuelle Anteil der in Hamburg zugelassenen privaten Elektroautos liegt bei ca. 3,2%. In dem US-Bundesstaat sieht die Situation ähnlich aus. Eine deutlich bessere Quote gibt es hingegen in der Kategorie Dienstwagen (22,4%). Aktuell sind knapp 3.000 öffentliche Ladesäulen in Hamburg vorhanden, davon mehr als die Hälfte im städtischen Besitz. Allein in den nächsten drei Jahren sollen 4.100 neue Ladepunkte dazu kommen. Die Stadt richtet ein besonderes Augenmerk auf privat-öffentliche Flächen wie Tankstellen und Supermärkte, die ein großes Potenzial für öffentliches Laden bieten. Ab 2028 sollen Betreiber mit über 200 Tankstellen mindestens eine E-Ladesäule installieren. Etwa 50% der Tankstellen (ca. 90) in Hamburg sind bereits mit Ladestationen ausgestattet. Der Ausbau der Elektromobilität steht auch vor Herausforderungen: eine unzureichende Netzleistung, hohe Ausbaukosten und unterschiedliche Anforderungen zwischen einzelnen Bezirken.
In dem großen Flächenland Minnesota beträgt die durchschnittliche Fahrleistung je PKW pro Jahr knapp 30.000 km. Die Reichweite der Batterie ist daher ein entscheidendes Kriterium für die Menschen dort, wenn es um eine Kaufentscheidung für oder gegen Elektroautos geht. Vor allem große Fahrzeuge, z.B. Pickups, sind bei den US-Amerikanern sehr beliebt. Hersteller wie Ford bieten ab Sommer 2025 erstmals ein Fahrzeugmodell mit elektrifiziertem Plug-in-Hybridantrieb, wobei das rein elektrisches Fahren lediglich von bis zu 40 km möglich ist. Nach einer Statistik des US-Finanz- und Technologieunternehmens Self liegen die Anschaffungs- und (jährlichen) laufenden Kosten (z.B. für Laden, Versicherung und Wartung) eines Elektroautos in den ersten sechs Jahren in Minnesota durchschnittlich um mehr als 3.000 US-Dollar über denen eines Verbrenners. Die hohe Investition und unzureichende Ladeinfrastruktur (in ganz Minnesota derzeit 800 Stück) sind die Hauptfaktoren für eine schleppende Nachfrage auf dem E-Mobilitätsmarkt.

Wärmewende: „Der Elefant im Raum“
Die Kommune spielt eine wichtige Rolle für den Aufbau und die Bereitstellung einer flächendeckenden Wärmeinfrastruktur. Die Erstellung eines Wärmeplans gilt in Hamburg nach dem Wärmeplanungsgesetz bereits als verpflichtend. Das Hamburg Institut begleitet die Stadt und städtische Energieunternehmen im Rahmen der Planung und Umsetzung der Wärmestrategie. Paula Möhring, Senior Consultant, gab dazu einen umfassenden Einblick.
In Hamburg ist derzeit fossiles Gas der dominante Heizenergieträger (ca. 50%). Etwa ein Vierteil der Wärmenutzung entfällt auf Fernwärme. Erneuerbare Technologien sind dabei von einer geringfügigen Bedeutung. Der Kohleausstieg bis 2030 erfordert die Umstellung der Wärmeerzeugung und -verteilung auf klimaneutraler Basis. Die Transformation wird durch zwei konkrete Meilensteinprojekte erfolgen.
Ende 2025 soll der Energiepark Hafen seinen Betrieb aufnehmen. An der Dradenau im Hamburger Hafen wird eine Gas- und Dampfturbinen (GuD)-Anlage entstehen. Gleichzeitig werden diverse andere Wärmequellen ins Konzept integriert. Dazu gehören beispielsweise Müllverwertungsanlage Rugenberger Damm und die Abwasserwärmepumpe des Klärwerks Dradenau. Für den Wärmetransport und die Anbindung an das bestehende Fernwärmenetz wird eine Südleitung mit Elbquerung vorbereitet. Eine Besonderheit an dem Energiepark Tiefstack ist die Nutzung der industriellen Abwärme. Im Hafengebiet sind verschiedene Unternehmen der Grundstoffindustrie ansässig, z.B. Kupferhersteller Aurubis. Aus den intensiven Produktionsprozessen wird Abwärme anfallen, die in Wärmespeichern gespeichert und ins Fernwärmenetz eingespeist werden kann. Auch in Tiefstack nutzt man das Flusswasser der Elbe als klimaneutrale Wärmequelle. Zukünftig sollen zwei große Flusswasser-Wärmepumpen mit einer Leistung von 230 MW installiert werden. Des Weiteren ist eine Anwendung von Power-to-Heat Teil des Konzeptes. Durch die Nutzung des grünen Stroms aus den Onshore-Windturbinen in der Nähe wird das Flusswasser erwärmt, das ins Fernwärmenetzt eingespeist wird.
Luke Gaalswyk, President und CEO von Ever Green Energy/District Energy St. Paul, stellte die Fortschritte der Wärmeplanung in Minnesota vor. Strategisch strebt man dort ebenfalls eine Transformation der Wärmeversorgung von heißem Dampf zu heißem Wasser sowie dem Einsatz von Großwärmepumpe an. Der Fluss Mississippi verläuft innerhalb des Bundesstaates und stellt eine ideale Bedingung für die klimaneutrale Wärmeerzeugung dar. District Energy betreibt das größte Warmwasser-Verteilungssystem in Nordamerika und ist ein Marktführer für Systemintegration mit Biomasse-Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), thermischer Speicherung und Solarthermie-Technologie. In Minnesota ist sie für das Heizen und Kühlen mit Warm- und Kaltwasser verantwortlich.
Laut dem Lawrence Livermore National Laboratory ist fossiles Gas aktuell der primäre Energieträger für die Versorgung vom Wohn-, Handel- und Industriebereich in den USA. Die Dekarbonisierung des Wärmesektors ist nach Ansicht von Gaalswyk ausschlaggebend dafür, ob die Klimaziele erreicht werden können, ist aber in der Praxis „der Elefant im Raum“, da dies im Verhältnis zu erneuerbarem Ausbau oft nachrangig adressiert und behandelt wird.
Die Hamburger Erfahrungen waren für die Delegation aus Minnesota sehr beeindruckend und inspirierend. Gleichzeitig bot der Round-Table mit den US-Gästen für teilnehmende Hamburger Akteure eine einzigarte Gelegenheit, gemeinsame Interessen und unterschiedliche Lösungsansätze beim Umgang mit dem Klimawandel und der Energiewende kennenzulernen und zu besprechen. Eine Fortsetzung ist geplant!