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"In 20 Jahren hat sich die Energieversorgung unserer Stadt grundlegend gewandelt" Die Zukunft der erneuerbaren Wärme in Hamburg
Versorgungssicherheit, Wärmewende und Energiespartipps - Gespräch mit Kirsten Fust, Geschäftsführerin bei den Hamburger Energiewerken
Thema Versorgung: Ihre Branche ist im Fokus des öffentlichen Interesses, wie gehen Sie mit spekulativer und beunruhigender Berichterstattung um? Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?
Wir stehen als Branche nicht erst seit diesem Jahr im Fokus der Öffentlichkeit. Klimaschutz war bereits in den vergangenen Jahren ein Top-Thema. Mit dem Krieg in der Ukraine ist jetzt noch das Thema Versorgungssicherheit hinzugekommen. Dass wir insbesondere auch auf Social Media Zuspitzungen erleben, ist etwas, mit dem wir umgehen müssen. Da hilft nur: Ruhe bewahren und sachlich bei den Fakten bleiben.
„Butter bei die Fische“: Wie steht es derzeit um die Versorgungssicherheit für Industrie und Privathaushalte in Hamburg?
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat im Juni die sogenannte Alarmstufe im Notfallplan zur Erdgasversorgung ausgerufen. Für die Belieferung unserer Kundinnen und Kunden ändert sich damit erst einmal nichts. Sollte sich die Situation allerdings weiter verschärfen, müsste nach dem Krisenplan Gas in der dritten Stufe die Bundesnetzagentur über hoheitliche Maßnahmen wie Abschaltmaßnahmen entscheiden. Wenn es tatsächlich zu einer Gasmangellage käme, dann wären Fernwärmeanlagen (Heizwerke und KWK Anlagen), die geschützte Kundengruppen wie Haushalte versorgen, besonders geschützt und erhielten vorrangig Erdgas.
Thema Wärmewende: Es gibt mittlerweile bei den Hamburger Energiewerken unterschiedlichste Projekte – Nutzung industrieller Prozesswärme, Großwärmepumpen, Geothermie, Aquiferspeicher etc. – wie sieht dabei der Transformationspfad für die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung aus? Und haben Sie ein Lieblingsprojekt?
Wir haben tatsächlich einen ambitionierten Fahrplan für die Dekarbonisierung der Stadtwärme. 2025 wollen wir das heutige Kohlekraftwerk in Wedel durch überwiegend klimaneutrale Wärmequellen ersetzen, bis spätestens 2030 dann auch das letzte verbliebene Kohlekraftwerk in Tiefstack. Unser Vorschlag für das Konzept Energiepark Tiefstack kommt bei Bedarf sogar vollständig ohne fossile Brennstoffe aus. Das ist ein echter Quantensprung. Wir setzen dabei vor allem darauf, vorhandene und heute ungenutzte Wärmequellen zu erschließen. Sei es bei der Grundstoffindustrie oder in den Müllverwertungen und Klärwerken unserer Stadt.
Wenn wir die Energieparks Hafen und Tiefstack umgesetzt haben, können wir die CO2-Emmissionen in der Wärme im Vergleich zu heute um 70-80% reduzieren. Im Anschluss nehmen wir uns die verbleibenden Emissionen vor und hoffen, dass wir mit weiteren Abwärmequellen und dem Einsatz von grünem Wasserstoff unserem Ziel einer vollständig dekarbonisierten Fernwärme zügig näherkommen.
Meine Lieblingsprojekte sind generell der Kohleausstieg und im Speziellen der Fernwärmetunnel unter der Elbe.
Sie sind u.a. auch sehr im Verbundprojekt „Norddeutsches Reallabor (NRL)“ involviert. Was hat Sie motiviert, dort eine so tragende Rolle zu übernehmen?
Wir waren mit den Kolleginnen und Kollegen der Fernwärme bereits im „Vorgängerprojekt“ NEW 4.0 mit unserer Power-to-Heat-Anlage Karoline dabei und haben gute Erfahrungen gemacht. Insbesondere die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten der verschiedenen Teilprojekte schafft einen erheblichen Mehrwert, da der Austausch von Ideen und Wissen und die Abstimmung der Projekte aufeinander uns selbst und die Energiewende insgesamt voranbringt.
Persönlich gefällt mir am Norddeutschen Reallabor die Möglichkeit, Theorie in die Praxis umzusetzen und einen Blick über den Tellerrand zu werfen.
Ein Blick in die Zukunft: Wie dürfen wir uns die Hamburger Energieversorgung in 20 Jahren vorstellen? Welche Ziele stehen ganz oben auf Ihrer Agenda?
In 20 Jahren hat sich die Energieversorgung unserer Stadt grundlegend gewandelt. Die Hamburger Energiewerke kommen dann komplett ohne fossile Brennstoffe aus und die Energie bleibt trotzdem bezahlbar! Auf dem Weg dahin werden wir die größten, bisher ungenutzten Wärmepotenziale heben müssen. Wir nutzen dafür die Energie aus Bille und Elbe mittels neuer Flusswasserwärmepumpen ebenso wie die Abwärme aus der Industrie. Möglicherweise spielt auch Geothermie in Zukunft eine größere Rolle in unserer Stadt. Auf alle Fälle wollen wir den Ausbau von PV-Anlagen auf städtischen Gebäuden und in der Freifläche vorantreiben und neue Windkraftstandorte in Hamburg erschließen.
Energiespartipps von den Energiewerken. Klingt paradox – aber neugierig sind wir trotzdem: Was sind Ihre top drei?
- .…wer kann sollte sich an die Fernwärme anschließen lassen, denn sie ist eine der effizientesten Formen der Wärmeversorgung. Gleichzeitig gibt uns das den nötigen Rückenwind für den weiteren Anschluss klimaneutraler Wärmequellen;
- …bei sich selbst und bei jeder Art von Grund-Energie anfangen: Strom, Wasser und Gas nur nutzen, wenn sie wirklich gebraucht werden. Licht ausschalten, wenn man den Raum verlässt. Geräte nicht im Standby-Modus betreiben, Wasser nicht unnötig laufen lassen. Die Heizung, wenn möglich, im Sommer ausschalten bzw. aktiv herunterregeln.
- Anderen beim Energiesparen ein Vorbild sein!