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Gas, Kohle, Wasserstoff – Um- und Abbrüche in Moorburg Ein Blick in die Geschichte des umstrittenen Kraftwerkstandortes

Zur Abwicklung des alten Kohlekraftwerkes Moorburg gibt es viele kritische Stimmen, die – obwohl der Rückbau seit über anderthalb Jahren läuft – kürzlich anlässlich der Sprengung der Schornsteine u.a. in den sozialen Medien nochmal laut geworden sind. Oftmals wird „ideologiegetriebene Politik“ dafür verantwortlich gemacht, dass ein besonders modernes, neues und teures Kraftwerk unsinnigerweise frühzeitig vom Netz genommen worden sei. Doch wie kam es wirklich zur Abschaltung des Kohlekraftwerks und zur laufenden Umwandlung in eine Produktionsstätte für grünen Wasserstoff?

Gas, Kohle, Wasserstoff – Um- und Abbrüche in Moorburg
Sprengung des Doppelschornsteins des alten Kohlekraftwerks am 10.11.2024 – Ende eines energiepolitischen Irrwegs. Bildnachweis: Hagedorn Unternehmensgruppe

Zunächst ein kurzer Blick in die Historie: Seit über 50 Jahren ist Moorburg ein Kraftwerksstandort, von 1974 bis 2001 stand dort ein Gaskraftwerk betrieben durch die Hamburgischen Electricitäts-Werke (gegründet 1894). Dieses Unternehmen wurde durch den Senat Runde und den Senat von Beust I Ende der Neunziger bis Anfang der Zweitausender zusammen mit weiteren Unternehmen der Hamburger Daseinsvorsorge verkauft. Etwa zeitgleich wurden im Rahmen des „Atomkonsens“ unter der rot-grünen Bundesregierung (Kabinett Schröder I), der sich von 2000-2002 zog, und der erste Schritt zum Atomausstieg war, in (Nord-)Deutschland mehrere Kohlekraftwerke als Ersatz geplant. Viele der Kraftwerke wurden nicht umgesetzt, doch in Hamburg war ein neu fusioniertes privatwirtschaftliches Firmenkonglomerat besonders schnell, sodasss die Planung hier schon konkrete Formen annahm. Nach dem Abriss des Gaskraftwerks (mit spektakulärer Sprengung und anschließendem verheerendem Kurzschluss durch umherfliegende Trümmerteile) wurde durch den neuen Energieversorger ab 2004 ein neues Kohlekraftwerk projektiert. Die Genehmigung zum vorzeitigen Baubeginn ersteilte der CDU-Senat unter Bürgermeister Ole von Beust 2007. Die endgültige Genehmigung durch die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt mit hohen umweltrechtlichen und baulichen Auflagen (insbesondere zur Kühlung, was später noch ein gerichtlicher Streitpunkt werden sollte), die das Bauprojekt verteuerten, wurde erst fast ein Jahr später erteilt. Während dieser Zeit gab es schon mehrfache Proteste und Klagen durch Umweltverbände. Auch während der Bauzeit gibt es weiterhin Streit zwischen Stadt, Betreibern und Umweltschützern, u.a. wegen einer letztlich nicht gebauten Fernwärme-Trasse von Moorburg nach Altona. Man wollte nicht für die nächsten Jahrzehnte zusätzlich durch die Wärmeversorgung an ein Kohlekraftwerk gebunden sein. Dies hatte zur Folge, dass die Kraft-Wärme-Kopplung als Geschäftsfeld für den Betreiber wegfiel. Auch Nachbesserungen wegen Baumängeln kommen hinzu. Die Baukosten werden mit 3 Milliarden Euro deutlich höher als prognostiziert. Nach verschiedenen Verzögerungen wird das Kraftwerk 2015 in Betrieb genommen.

 

Mit politischer Kurzsichtigkeit und Stolpersteinen in die Unwirtschaftlichkeit

Bereits hier stellt sich allerdings die Frage, wie weitsichtig dieses Investment war, denn schon damals war der europäische Emissionshandel in einer Implementierungs- und Hochlaufphase. Der Emissionsrechtehandel, wenn auch damals noch in einer für Betreiber günstigen Frühphase, sollte langfristig Kohle weniger wettbewerbsfähig gegenüber CO2-freien Energieträgern machen. Die Preise für Zertifikate waren anfangs günstig, aber eine sukzessive Steigerung war absehbar, die die Wirtschaftlichkeit fossiler Kraftwerke zumindest langfristig fraglich machte.

Der tatsächliche Preisanstieg der Zertifikate dürfte die Prognosen überschritten haben, unter anderem wegen der größer werdenden Ambitionen der EU zur Dekarbonisierung (Clean-Energy-Package von 2019, später das Fit for 55-Paket). Zwischen Mitte 2017 und Februar 2023 hatte sich der EUA-Preis schließlich von rund 5 Euro auf zwischenzeitlich knapp über 100 Euro verzwanzigfacht, den höchsten Stand seit Beginn des EU-ETS 1 im Jahr 2005.

Da sich das große Investment aufgrund verteuerter CO2-Zertifikate für den Betreiber dauerhaft nicht lohnen konnte, zeichnete sich trotz der modernen Technik und Effizienz ein Verlustgeschäft ab. Bei den Stromgestehungskosten dürfte das Kraftwerk gegenüber den abgeschriebenen bestehenden Kraftwerken einen zusätzlichen Wettbewerbsnachteil gehabt haben.

Im August 2020 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz, mit der Möglichkeit für Energieversorger, sich an einem Ausschreibungsverfahren zu beteiligen – ein möglicher Ausweg aus der Kostenfalle. Im Ausschreibungsverfahren geben die Anlagenbetreiber ein Gebot ab, zu dem sie bereit sind, auf die Verfeuerung von Kohle in ihrer Anlage zu verzichten. Um die Anlagenbetreiber zur Stilllegung zu veranlassen, gewährt das Gesetz demjenigen Betreiber, der den Zuschlag erhält, einen Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland (vertreten durch die Bundesnetzagentur) auf Zahlung eines Steinkohlezuschlags als finanziellen Ausgleich für den Steinkohleausstieg.

Gründe für die Abschaltung

Obwohl es am sinnvollsten wäre, als erstes besonders alte und besonders „schmutzige“ Kohlekraftwerke abzuschalten, macht das Gesetz keinen Unterschied zwischen modernen und veralteten Anlagen – das entsprechende Gebot gibt den Ausschlag. Am 1. Dezember 2020 bekam Moorburg den Zuschlag im Ausschreibungsverfahren zur Reduzierung der Verstromung von Steinkohleanlagen und Braunkohle-Kleinanlagen, der eine Stilllegung im Juli 2021 zur Bedingung machte.

Fairerweise muss gesagt werden, dass dieser für den Betreiber einfache Ausweg aus diesem unwirtschaftlichen Projekt wohl einer der wichtigsten, aber nicht der einzige Grund für sein Scheitern ist. Bereits während Planung und Genehmigung hat die Landespolitik ihr Übriges beigetragen, das Projekt zu verkomplizieren und zu verteuern – beispielsweise durch die Vorgabe der Verdopplung der Kraftwerksleistung und durch die gescheiterte Anbindung an die Fernwärmeversorgung. Der Landespolitik ist vorzuwerfen, dass das Kraftwerk in der Form überhaupt gebaut wurde und der Bundespolitik, dass der Kohleausstieg keine sinnvolleren Vorgaben in Hinsicht auf Umweltverträglichkeit beinhaltet. Zudem versäumte es die damalige Bundesregierung, die Gesetzeslage so zu verändern, dass neue Kohlekraftwerke aus Klimaschutzgründen auch gegen den Willen von Kraftwerksbetreibern hätten verhindert werden können (vgl. BUND). Auch das Engagement von Bürgerinitiativen und Umweltverbänden führte dazu, dass der Betrieb unwirtschaftlicher wurde.

So kommt Matthias Iken im Hamburger Abendblatt im vergangenen Jahr zu dem Schluss: „Es war von vornherein überdimensioniert und schon damals die falsche Antwort auf die Frage der Energie der Zukunft. Sein Bau wurde von politischem Zank und Zerwürfnissen begleitet. Als Moorburg endlich fertig war, wollte es niemand mehr haben.“

Der Phoenix aus der Asche - Grüne Zukunft für die Investitionsruine

Die Geschichte des Kohlekraftwerks könnte ein Lehrstück sein – fragt sich nur, wofür genau.  Vor allem ist sie ein mahnendes Beispiel für einen besonders verschwenderischen Umgang mit Ressourcen. Es ist daher schwierig, den einen Hauptverantwortlichen ausfindig machen. Die Rekonstruktion bringt eine Kaskadierung unglücklicher Entwicklungen zum Vorschein. Politische Kurzsichtigkeit und einseitige wirtschaftliche Interessen führten in paradoxer Eigenlogik zu einem vorzeitigen Ende. Dem Klimaschutz wurde unbestreitbar ein Bärendienst erwiesen.
Die deprimierende Geschichte endet nicht ohne einen Hoffnungsschimmer. Mit der Übernahme des Standortes durch die Hamburger Energiewerke 2023 und der begonnenen Entwicklung zum Hamburg Green Hydrogen Hub bis 2027 bleibt Moorburg ein Energiestandort und kann zu einem globalen Erneuerbare Energien-Leuchtturmprojekt werden.

Über Oliver Schenk

Profilbild zu: Oliver Schenk

Ich bin verantwortlich für den Bereich Marketing Wasserstoff und sorge dafür, dass die hiesigen Projekte und Formate in der Metropolregion Hamburg und darüber hinaus wahrgenommen werden. Um dem vielversprechenden Energieträger zum Durchbruch zu verhelfen unterstütze ich die Wasserstoffwirtschaft mit redaktionellen Beiträgen, Netzwerkveranstaltungen, Videoproduktionen und vielem mehr.

von Oliver Schenk