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Energie lokal nutzen – Was 2026 möglich wäre, wenn… Reihe: Inside Energiewende – der (un)aufgeregte Realtalk

Energie lokal zu erzeugen und direkt zu nutzen ist heute weniger ein technisches als ein politisches Thema. Das macht auch die EnWG-Novelle 2025 wieder deutlich. Offenbar versucht die Bundesregierung damit ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, Wirtschaft und Verbraucher zu aktiven Mitgestaltern der Energiewende zu machen.

Doch in der Wirklichkeit klafft derzeit eine große Lücke zwischen gesetzlichen Möglichkeiten und ihrer praktischen Umsetzung – besonders bei Mieterstrom, gemeinschaftlicher Gebäudeversorgung und dem neuen Energy Sharing.

Mieterstrom: Großes Potenzial, längst wirtschaftlich und trotzdem gebremst

Deutschlandweit könnten rund 1,9 Mio. Mehrfamilienhäuser Mieterstrom anbieten – genutzt wird das Modell aber nur in etwa 0,3 % der Gebäude. Dabei zeigt die Praxis: Mieterstrom ist heute schon wirtschaftlich und erfolgreich realisierbar. Das zeigt die BürgerEnergie Nord eG mit zahlreichen Projekten schon heute.

 

Beispiel Hamburg-Wellingsbüttel: 14 Häuser, 250 kWp, 102 Wohneinheiten – aber regulatorisch zerschnitten

Derzeit entsteht in Hamburg-Wellingsbüttel ein Mieterstromquartier mit 14 Mehrfamilienhäusern, 102 Wohneinheiten und 250 kWp Photovoltaik (PV)-Leistung. Wegen eines EuGH-Urteils zur Kundenanlage dürfen die Anlagen nicht als zusammenhängendes Quartier betrieben werden. Stattdessen müssen zehn kleine, getrennte Anlagen gebaut werden, die jeweils nur das eigene Gebäude versorgen.

Dadurch gehen Quartiersvorteile verloren:

  • weniger Eigenverbrauch, mehr Überschussnetzstrom,
  • keine gemeinsame Optimierung zwischen Gebäuden,
  • erschwerte Nutzung von PV-Strom für Wärme oder E-Mobilität.

Eine echte Quartierslösung würde das Netz entlasten und lokal wesentlich mehr erneuerbare Energie nutzbar machen.

 

Politischer Rückenwind aus Hamburg: Beschluss der Bürgerschaft 2025

Im November 2025 hat die Hamburger Bürgerschaft den Antrag
„Damit alle Hamburger*innen von der Energiewende profitieren können: Photovoltaik-Betreibermodelle für Mehrparteienhäuser vereinfachen und ausweiten“
verabschiedet.

Damit verbindet Hamburg einen klaren Anspruch: Die Stadt will Energiewende-Hauptstadt werden – ein Hamburg, in dem alle Menschen lokal produzierten, erneuerbaren Strom beziehen können.

Doch um diese Vision umzusetzen, braucht es mehr als gute politische Vorsätze. Es braucht:

  • standardisierte Prozesse bei Netz- und Messstellenbetreibern,
  • leistungsfähige Softwareanwendungen für Messung und Bilanzierung,
  • ausreichendes Personal, um Projekte zeitnah zu bearbeiten.

Ohne diese Grundlagen bleiben die von der Bürgerschaft gewollten Modelle auf dem Papier stecken.

 

Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung: Hamburgs nächster Schritt

Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (GGV) ermöglicht Hausgemeinschaften die einfache, interne Nutzung von lokal erzeugtem Strom – ein Modell, das in Städten wie Hamburg enorme Wirkung entfalten kann.

Im ersten Halbjahr 2026 plant die Bürgerenergie Nord eG daher das erste Projekt mit gemeinschaftlicher Gebäudeversorgung mit einer Wohneigentümergemeinschaft in Hamburg Lokstedt umzusetzen – vorausgesetzt, der Netzbetreiber schafft die notwendigen technischen und organisatorischen Voraussetzungen.

Dieses Projekt kann zum Leuchtturm werden, wenn die Prozesse rechtzeitig stehen.

 

Energy Sharing: Die Energiewende im Quartier denken

Und auch mit dem Mieterstromprojekt in Wellingsbüttel kann Hamburg 2026 zeigen, dass Erneuerbare Energien ihr Potenzial vor allem durch die lokale Nutzung entfalten.

Denn mit dem neuen § 42c EnWG aus der EnWG-Novelle 2025 wäre in Wellingsbüttel trotz der regulatorischen Unsicherheit um die Kundenanlage perspektivisch eine echte Quartiersstromlösung über Gebäudegrenzen hinweg möglich.
Energy Sharing würde erlauben:

  • gemeinschaftliche Nutzung des PV-Stroms über mehrere Häuser hinweg,
  • eine koordinierte Optimierung von Erzeugung, Verbrauch und Speicher,
  • Sektorenkopplung im Quartier (Wärme, E-Mobilität),
  • signifikant weniger Überschussstrom im Netz.

Die EnWG-Novelle 2025 schafft erstmals die gesetzliche Grundlage für Energy Sharing. Für Hamburg als dicht besiedelte Stadt wäre das ein zentraler Hebel, um lokal erzeugten Solarstrom direkt im Quartier zu nutzen und die Abhängigkeit vom überregionalen Netz zu verringern.

Doch auch hier gilt: Ohne moderne IT-Systeme, klare Prozessketten und ausreichend qualifiziertes Personal bei den Netzbetreibern können die gesetzlich verankerten Modelle nicht in die Breite getragen werden.

 

Teilhabe braucht Umsetzungskraft

Was können wir also für 2026 energiepolitisch mitnehmen?

  • Die EnWG-Novelle 2025 schafft neue Möglichkeiten,
  • der Koalitionsvertrag der Bundesregierung macht Bürger*innen und Unternehmen zu Mitgestaltern,
  • die Hamburger Bürgerschaft will die Stadt zur Energiewende-Hauptstadt machen.

Die Energiegenossenschaft BürgerEnergie Nord eG sieht breite Teilhabe als den Schlüssel zu einer schnellen, bezahlbaren und gerechten Energiewende. Doch sie gelingt nur, wenn Netzbetreiber die gesetzlich vorgesehenen Modelle technisch und personell umsetzen können. Mit funktionierenden Prozessen, klaren Regeln und digitaler Infrastruktur könnten Mieterstrom, Quartiersstrom und Energy Sharing bereits 2026 zum Standard werden – und die Energiewende in jedem Haus, jedem Quartier und jeder Kommune Wirklichkeit werden.

Wir als BürgerEnergie Nord eG laden alle ein, dieses Ziel gemeinsam zu ermöglichen. Denn wir haben alle #mehrEnergiegemeinsam

BürgerEnergie Nord eG

Über die Autorin

Anna Leidreiter ist Vorstand und Gründungsmitglied der BürgerEnergie Nord eG. Die Sozialwissenschaftlerin hat bereits 2010 zwei Energiegenossenschaften gegründet und in den letzten 15 Jahren Erfahrung in der internationalen und nationalen Energiepolitik in unterschiedlichen Positionen gesammelt.

von EEHH Gastautor