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"Einklang von Erzeugung und Verbrauch" Interview mit Prof. Dr. Hans Schäfers, HAW Hamburg und NRL

Im folgenden Gespräch erläutert Prof. Dr. Hans Schäfers den aktuellen Status des NRL.

Prof. Dr. Hans Schäfers (HAW Hamburg)

EEHH: Lieber Prof. Dr. Schäfers, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrer offiziellen Bestellung zum Leiter des CC4E! Was sind Ihre kurz- und langfristigen Ziele für das CC4E?

Prof. Dr. Hans Schäfers: "Vielen Dank für die Glückwünsche! Als neuer CC4E-Leiter trete ich natürlich in große Fußstapfen: Ich möchte den tatkräftigen Spirit von Werner Beba, unserem kürzlich verstorbenen Gründer und langjährigen Leiter, weiterleben lassen. Gerade hat das CC4E ja sein 15-jähriges Jubiläum gefeiert. Das war für uns ein guter Anlass, noch einmal Revue passieren zu lassen, was wir seit unserer Gründung alles erreicht haben. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass das CC4E seine Rolle in der norddeutschen Forschungslandschaft weiter ausbaut. Insbesondere die Wasserstoff-Forschung steht dabei derzeit stark im Fokus. Wir brauchen außerdem zügig Klarheit bei der Erstellung der kommunalen Wärmepläne und darauf aufbauend intelligente Lösungen für den Ausbau der Wärmenetze und die Integration der Wärmepumpen in das Stromnetz. Die Erschließung des gerade ermittelten PV- Potenzials in Hamburg wird uns sicher auch vor einige Herausforderungen stellen und all diese Entwicklungen stoßen große Veränderungsprozesse an, die uns als Gesellschaft stark fordern. Daher wollen wir unbedingt auch unsere Forschung zur gesellschaftlichen Transformation weiter ausbauen.

EEHH: Sie haben in der Vergangenheit bereits diverse wegweisende Projekte der HAW/des CC4E begleitet. Ich möchte hier ganz explizit das sehr erfolgreiche Projekt NEW 4.0 nennen. Das aktuell laufende 'Norddeutsche Reallabor' (NRL) ist das Folgeprojekt des NEW 4.0. Welche Fragestellungen werden in diesem Projekt überwiegend behandelt und was unterscheidet das NRL vom Vorgängerprojekt NEW 4.0?

Prof. Dr. Hans Schäfers: "In NEW 4.0 ist es gelungen zu zeigen, dass die Energiewende nicht nur möglich, sondern auch tatsächlich machbar ist: Wir haben in dem Projekt insbesondere die Flexibilisierung des Verbrauchs erprobt, um die Aufnahmefähigkeit der Netze für Grünstrom zu steigern, so dass teure Abregelungen von Windenergieanlagen vermieden werden können. NEW 4.0 hatte also vor allem die Systemintegration erneuerbarer Energien im Blick und wollte zeigen, dass sich der Norden zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien versorgen lässt. Das Norddeutsche Reallabor (NRL) schließt daran, geht aber einen Schritt weiter und widmet sich der nächsten Phase der Energiewende: der Sektorenkopplung, also der Defossilisierung aller Verbrauchssektoren mit erneuerbaren Energien. Im Fokus steht dabei im NRL die industrielle Transformation auf Basis einer wasserstoffbasierten Sektorenkopplung, aber auch für die Wärmeversorgung und den Mobilitätssektor erproben unsere Verbundpartner neue Technologien."

EEHH: „Intelligente Energiesysteme und Energieeffizienz“ sind wichtige Schwerpunkte Ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit. Was ärgert Sie am meisten, wenn Sie die aktuellen politischen Diskussionen diesbezüglich verfolgen?

Prof. Dr. Hans Schäfers: "Mich ärgert, dass diese absolute Dringlichkeit, die Klimakrise mit sich bringt, in den politischen Debatten noch immer viel zu sehr vernachlässigt wird. Es werden immer neue Nebenschauplätze eröffnet, statt sich der Tatsache zu stellen, dass uns für die Energiewende einfach nicht mehr viel Zeit bleibt. Dabei wäre eine entschieden angegangene Energiewende ein riesiges Konjunkturprogramm für Deutschland, vom Umfang her ziemlich gut vergleichbar mit der deutschen Wiedervereinigung. Die notwendigen Investitionen betreffen praktisch alle Lebensbereiche und Wirtschaftssektoren. Wir bräuchten jetzt alle politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Ressourcen, wir bräuchten ein Sondervermögen für die notwendigen Investitionen, um diese Aufgabe zügig zu meistern. Und das ist alternativlos. Wir können nicht so weitermachen. Die Erderwärmung muss begrenzt werden, wenn unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft eine Grundlage behalten soll. Dafür bleiben uns vielleicht gerade noch knappe 10 Jahre, um den Transformationsprozess global in die richtigen Spuren zu lenken."

EEHH: In diesem Zusammenhang spielt das Stromnetz eine tragende Rolle. Welche Herausforderungen gibt es bei der Integration erneuerbarer Energien in das Stromnetz? Werden diese Hürden Ihrer Meinung nach ausreichend kommuniziert?

Prof. Dr. Hans Schäfers: "Um die Aufnahmekapazität der Netze für Grünstrom zu erhöhen, müssen wir Erzeugung und Verbrauch optimal in Einklang bringen. Wir brauchen einen schnellen und entschiedenen Netzausbau, denn Erneuerbare-Energien-Anlagen werden immer noch viel zu häufig abgeregelt und für die Energiewende wollen wir die EE-Kapazitäten ja nochmal mindestens verdreifachen. Dabei ist es wichtig, jede Kilowattstunde Strom, die erneuerbar erzeugt werden kann, auch zu nutzen. Die Flexibilisierung großer und kleiner Lasten kann dabei helfen, mehr Platz im Netz zu machen. Dafür brauchen wir neben den technischen Lösungen für die Digitalisierung dieser Koordination auch zügig ein angepasstes regulatorisches Rahmenwerk. In der politischen Kommunikation ist diese Dringlichkeit angekommen, aber sie ist noch nicht ausreichend rechtlich umgesetzt worden. Insbesondere die zukünftig immer wichtiger werdende Rolle der Verteilnetzbetreiber bei der Koordinierung der dezentralen Lasten und Erzeuger ist noch nicht gut organisiert. Hier fehlen noch die notwendigen Anreize für die schnelle Einführung intelligenter Kommunikationslösungen."

EEHH: Apropos Kommunikation. Es wirkt so, als spalte die Energiewende in Deutschland zunehmend die Bevölkerung. Eine Überforderung aufgrund der Komplexität des Themas ist teilweise ebenfalls wahrzunehmen. Was kann die Wissenschaft tun, um diesem Trend entgegenzuwirken? Und was würden Sie persönlich als renommierter Wissenschaftler der Bundesregierung raten?

Prof. Dr. Hans Schäfers: "Völlig richtig beobachtet: Die aktuellen Diskussionen bergen eine immense Sprengkraft für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und ich unterstelle da auch bei einigen Beteiligten ein fokussiertes Interesse an der Wahrung eigener lukrativer Partikularinteressen. Anders lassen sich mache Argumente und Darstellungen in ihrer Verdrehung und Übertreibung gegenüber der Bevölkerung nicht erklären, meiner Meinung nach. Dem entgegenzutreten ist sicherlich zunächst eine politische Aufgabe. Dennoch haben Wissenschaft und Forschung sowohl die Aufgabe als auch das Potenzial, als Korrektiv in der Debatte zu fungieren. Als Mitglied der Scientists for Future finde ich es daher auch persönlich wichtig, dieser Aufgabe nachzukommen: Wenn Wissenschaft sich in der Debatte engagiert, kann sie es auch schaffen, die Debatte zu versachlichen und Menschen zu bewegen.

Der Bundesregierung rate ich, die derzeitigen Spannungen ernst zu nehmen, aber nicht mit den falschen Mitteln zu beantworten. Soziale Gerechtigkeitsfragen werden bei der Transformation eine immense Rolle spielen und können nur durch gesellschaftliche Teilhabe, politische Transparenz und den Willen zum Wandel gelöst werden. Lösungen die dazu auf dem Tisch liegen und im Koalitionsvertrag auch vereinbart wurden, wie das Klimageld, sollten nicht kurzfristig anders gelagerten Finanzierungsbedürfnissen geopfert werden. Die Energiewende darf nicht durch soziale Verwerfungen erneut ausgebremst werden. Und das wird spätestens 2027 passieren, wenn der neue Emissionshandel (ETS II) für CO2-Emissionen im Straßenverkehr und von Gebäuden eingeführt wird und wir ohne soziale Kompensationsstrategie dastehen."

EEHH: "Herzlichen Dank für Ihre offenen Worte und viel Erfolg in Ihrer neuen Position!"

Prof. Dr. Hans Schäfers: "Danke sehr!"

Über Katja Löwe

Profilbild zu: Katja Löwe

Im EEHH Team darf ich mein Know-how mit meiner Leidenschaft verbinden: Networking, Events und Social Media für mein Herzensthema die „Erneuerbaren“. Speziell die vielfältigen Anwendungen des grünen Wasserstoffs faszinieren und begleiten mich und meinen beruflichen Werdegang bereits seit 2011.

Zuletzt tätig, bei der Hamburg Messe und Congress GmbH, durfte ich die Konferenzmesse „H2Expo“ inhaltlich ausbauen und darauffolgend das Thema Wasserstoff & Sektorkopplung in die „WindEnergy Hamburg“ integrieren.

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