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Die zweite Halbzeit der Energiewende braucht neue Spielregeln Einschätzung von Prof. Dr. Grischa Perino, Universität Hamburg

Im folgenden Kommentar lesen Sie eine Einschätzung von Klimaforscher Prof. Dr. Grischa Perino, Universität Hamburg, zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende in Zukunft.

Die zweite Halbzeit der Energiewende braucht neue Spielregeln
Prof. Dr. Grischa Perino, UHH

Die zweite Halbzeit der Energiewende steht bevor: die zweiten 50% der Stromversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen und weitere Sektoren zu elektrifizieren. Dazu gehört auch grüner Wasserstoff, da dieser mit Strom hergestellt wird. Damit das gelingen kann, braucht es neue Regeln.

Stromsteuer und EEG-Umlage durch deutlich höhere CO2-Preise ersetzen

Stromsteuer und EEG-Umlage verteuern Strom. Beide Instrumente haben keine klimafreundliche Wirkung, da sie unabhängig von der Erzeugungsart erhoben werden. Sektorenkopplung (z.B. Power-to-Heat) und Elektrifizierung (z.B. E-Autos) werden ausgebremst. Statt Strom pauschal zu belasten, sollte der Ausstoß von Treibhausgasen gezielt verteuert werden. Die meisten fossilen Kraftwerke unterliegen zwar bereits seit 2005 dem EU Emissionshandel, aber bis 2018 waren die Preise nicht der Rede wert. Inzwischen liegen sie bei etwa 30 EUR/Tonne CO2 und seit dem 1.1.2021 werden für Benzin, Diesel und Erdgas in Deutschland 25 EUR/Tonne fällig. Beides liegt deutlich unter dem vom Umweltbundesamt[1] angegeben Wert von 195 EUR/Tonne, der die gesellschaftlichen Kosten des CO2-Ausstoßes wiedergibt. Würde man das Wohlergehen zukünftiger Generationen bei der Berechnung genauso gewichten wie das der jetzigen, dann sind es 680 EUR/Tonne.

Höhere CO2-Preise machen Kohleverstromung, Benzin- und Dieselmotoren und viele andere Anwendungen fossiler Brennstoffe betriebswirtschaftlich unrentabel – was sie volkswirtschaftlich bereits sind. Kohleausstieg funktioniert dann ohne Entschädigungszahlungen, erneuerbare Energien werden wettbewerbsfähig und Elektrifizierung profitabel. Die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung können genutzt werden, um die Finanzierungslücken bei den bestehenden Verpflichtungen aus dem EEG und in der Rentenkasse (dorthin fließen die Einnahmen der Stromsteuer) zu schließen, um klimafreundliche Technologien und Infrastruktur bereitzustellen und für sozialen Ausgleich zu sorgen, soweit die Abschaffung von Stromsteuer und EEG-Umlage dazu nicht ausreichen.

Netzengpässe im Strommarkt abbilden

Besonders absurd wird der derzeitige regulatorische Rahmen, wenn in Norddeutschland der Wind kräftig weht. Dann werden im Norden Windräder abgeschaltet (aber oft trotzdem vergütet) und im Gegenzug in Süddeutschland fossile Kraftwerke hochgefahren, da die Transportkapazitäten des Netzes erschöpft sind. Das kostete allein 2019 1,2 Mrd. EUR. Geld, das dann über die Netzentgelte auf den Strompreis aufgeschlagen wird. 2012 waren es noch weniger als 100 Mio. EUR.

Ein Energiesystem mit überwiegend wetterabhängiger Erzeugung, erfordert, dass Flexibilitäten nicht nur geschaffen, sondern auch gut koordiniert werden. Da in Deutschland der Strompreis für alle Erzeuger der gleiche ist, passiert genau das Gegenteil. Ist die Entstehung eines Netzengpasses zu erwarten, dann sendet der Markt derzeit an alle Flexibilitäten über den Preis genau das gleiche Signal. Der Preis richtet sich ausschließlich nach der Knappheit im Gesamtsystem. Ob der Strom vom Erzeuger zum Abnehmer transportiert werden kann, wird nicht abgebildet. Daher verhalten sich Flexibilitäten auf beiden Seiten des Engpasses gleich, d.h. auf einer Seite passiert genau das Falsche. Der Engpass wird verschärft, anstatt ihn zu beseitigen. Auf der anderen Seite passiert weniger als notwendig wäre. Die Netzbetreiber müssen kostspielig nachsteuern, um den Kollaps des Netzes zu verhindern. Knappe Ressourcen effizient zu managen und viele dezentrale Akteure zu koordinieren, ist die große Stärke von Märkten. Dafür brauchen sie aber Spielregeln, die dafür sorgen, dass die relevanten Knappheiten abgebildet werden können.

Richtungsweisende Regeln

Aus volkswirtschaftlicher Sicht bedeutet das: Klimapolitik so gestalten, dass der Ausstoß von Treibhausgasen und nicht Stromkonsum verteuert wird. Strommärkte schaffen, die Netzengpässe vorausschauend abbilden. NEW 4.0 hat gezeigt, wie viel davon technisch bereits möglich wäre. Ohne die passenden Regeln bleibt es aber ein Sandkastenspiel.

[1] Umweltbundesamt (2020) Methodenkonvention 3.1 zur Ermittlung von Umweltkosten, Kostensätze, Stand 12/2020, S. 8, https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/1410/publikationen/2020-12-21_methodenkonvention_3_1_kostensaetze.pdf

Zum Autor

Grischa Perino ist seit 2013 Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Ökologische Ökonomie an der Universität Hamburg. Zuvor hat er in Bonn, Freiburg und London studiert, in Heidelberg promoviert und an den Universitäten Heidelberg, Cambridge und East Anglia geforscht und gelehrt. Im Rahmen von NEW 4.0 hat er die regulatorischen Rahmenbedingungen der Energiewende aus volkswirtschaftliche Perspektive analysiert.

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