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Die Wasserstoff-Importstudie Interview mit Patrick Zimmerman, Fraunhofer CML

Die Freie und Hansestadt Hamburg hat am 14. November ihre Wasserstoff-Importstudie vorgestellt, die federführend vom Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen CML erstellt wurde. Der projektleitende Autor Patrick Zimmerman spricht im Interview über die wichtigsten Erkenntnisse.

Die Wasserstoff-Importstudie
Verschiedene Wasserstoffderivate werden in Zukunft per Tanker in Hamburg erwartet. Credit: Adobe Stock / ifh85 Mike Triapitsyn

Herr Zimmerman, was ist Ihr Hintergrund und welche Rolle nehmen Studien in Ihrem Arbeitsalltag ein?

Ich bin studierter Logistiker, eine Art Wirtschaftsingenieur. Hier am Fraunhofer CML koordiniere ich die Wasserstoff-Aktivitäten am CML. Dazu gehört viel Projektarbeit, darunter Studien, techno-ökonomische Assessments, oder auch die Entwicklung von Tools wie kürzlich für die Dimensionierung von Wasserstoff-Pipelines. Zudem bin ich immer auf der Suche nach neuen Projektpartnern.

 

War die Wasserstoff-Importstudie in der Erarbeitung in irgendeiner Form besonders?
Es ist schon eine besondere Studie, insbesondere durch die Anwendung der Szenariotechnik. Diese erfordert das gesamte Know-How unseres vierköpfigen, interdisziplinären Teams, mit viel Wissen über politische Agenden und Technologie-Reifegrade, damit die Szenarien plausibel sind. Wir verknüpfen dabei viele Disziplinen, was in der Arbeit große Freude macht. Zudem kommen Fragen bezüglich möglicher Entwicklungspfade: Wer profitiert wie, welche Technologien und welche Branchen werden begünstigt, wenn sich etwas bspw. an der politischen Unterstützung ändert? Die Behörde für Wirtschaft und Innovation ist ein besonderer Auftraggeber, da dadurch der Auftrag sehr umfänglich ist in Hinblick auf Flächen, Verfügbarkeiten, den Hafenentwicklungsplan, den Sustainable Energy Hub. Es kommen also viele Standortfragen zusätzlich zur Technologie hinzu. Und nicht zuletzt müssen wir globale Fragen mit Standortfragen verknüpfen.

Dann kommen wir gerne direkt zum Kernthema: Was sind die Kernaussagen der Studie?

Zwei wichtige Erkenntnisse würde ich gerne herausstellen: Zum ersten wäre das Thema seeseitige Importkapazitäten zu nennen. Die seeseitige Infrastruktur des Hamburger Hafens ist geeignet, um die für das Jahr 2045 progressiv prognostizierten seeseitigen Hamburger Importmengen an grünem Wasserstoff und seinen Derivaten aufnehmen und somit 47% des gesamtdeutschen seeseitigen Importbedarfs decken zu können.

Zum zweiten die Themen Flächenentwicklung und Tanklager: Der Hamburger Hafen verfügt über die notwendigen Flächen für die prognostizierte Produktion und den seeseitigen Import von Wasserstoff und seinen Derivaten für alle drei von uns betrachteten Szenarien.

Hamburg wird in Zukunft eine bedeutende Rolle beim grünen Energieimport für Deutschland spielen, da signifikante Mengen seeseitig importiert werden müssen und die Infrastruktur vorhanden ist. Man muss aber trennen: Das Potenzial ist da, die unternehmerische Umsetzung steht auf einem anderen Blatt.

 

Wie lange hat die Erstellung der Studie gedauert? Wer war beteiligt?

Wir haben etwa in einem Jahr die Studie erarbeitet. Unterstützt wurden wir von unserem externen Partner Reacnostics. Dieser war ein geschätzter Ansprechpartner für projektspezifische chemische und verfahrenstechnische Hintergründe und Fragestellungen.

 

Sie sprachen eben die Szenarios an. Welche sind das im Detail?

Wir entwickelten die drei Szenarien Push, Business-as-Usual (BaU) und Stagnation (Stag). Im Kontext der historischen Trendentwicklungen erweist sich das BaU-Szenario als das wahrscheinlichste Szenario. Dieses Szenario projiziert zukünftige Entwicklungen basierend auf der Kontinuität vergangener Trends ohne wesentliche Änderungen in den zugrunde liegenden Parametern. Demgegenüber charakterisiert das Szenario Push das optimistischste Szenario, das von Best-Case-Annahmen ausgeht, bei denen positive Einflussfaktoren und günstige Bedingungen eine beschleunigte Zielerreichung ermöglichen. Das Stag-Szenario repräsentiert hingegen das pessimistischste Szenario, bei dem es zu einer Verlangsamung oder einem Stillstand des Fortschritts in Schlüsselbereichen kommt.

Was ist das kritische Erfolgskriterium für den Markthochlauf im optimistischen Push-Szenario?

In diesem Szenario treibt eine starke globale Nachfrage und somit auch eine starke Nachfrage in Hamburg die Entwicklung von Wasserstoff und seinen Derivaten voran, getragen von intensivem politischem Engagement und entsprechenden Investitionen und Förderprogrammen. Technologische Innovationen in Wasserstofftechnologien führen zu erheblichen Verbesserungen in der Verfügbarkeit und Effizienz der notwendigen Komponenten, wodurch Kosten sinken und die Marktreife von H2uD-Technologien zunimmt. Parallel dazu erleben Carbon-Capture-Technologien (CC) wesentliche Fortschritte und werden durch deutliche Preissenkungen kommerziell attraktiver, was in erster Linie die Derivatproduktion begünstigt. Fördervorhaben unterstützen die Infrastrukturentwicklung und beschleunigen die Forschung im H2-Bereich. Zusätzlich tragen übertroffene Ausbauziele für erneuerbare Energien zur Förderung einer umweltfreundlichen Wasserstoffwirtschaft bei und stärken die Rolle von H2 als Schlüsselelement in der Energiewende und der Erreichung einer kohlenstoffarmen Zukunft.

Wie genau wurde der Hamburger Wasserstoffbedarf ermittelt?

Wir haben uns den Energiebedarf von Industrie, Verkehr, und Privathaushalten angesehen und dafür auf Metadaten u. a. des Statistikamts Nord zurückgegriffen. Der gesamte Endenergiebedarf Hamburgs belief sich im Jahr 2021 auf 47,48 TWh, wovon etwa 61 %, also 29,14 TWh, fossilen Ursprungs waren. Im Weiteren haben wir uns in den verschiedenen Szenarien die Substituierbarkeit fossiler Energie durch Elektrifizierung, Wasserstoff und Derivate angesehen.

Wie gehen Sie davon aus, dass Wasserstoff ins Gas- oder Flüssigform nach Hamburg gelangen soll, solange es noch keine Schiffe gibt?

Im Hinblick auf Wasserstoff wird angenommen, dass bis zum Jahr 2045 ein Import von verflüssigtem Wasserstoff technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Es wird von einem LH2-Import von 600.000 t/a (20 TWh/a) ausgegangen. Für den Import und die Lagerung von flüssigem Wasserstoff und Ammoniak müssen im Hamburger Hafen neue Infrastrukturen geschaffen werden, da eine Umrüstung bestehender Infrastrukturen nur bedingt möglich ist. Diese Prognose schließt die wissenschaftliche Einschätzung ein, dass die Entwicklung und Produktion von Wasserstofftransportschiffen zunehmen wird. Eine anschließende Frage ist die der Weiterverteilung im Hinterlandverkehr. Da gibt es auch noch Forschungs- und Entwicklungsbedarf bei den Binnenschiffen. Derzeit sind Binnentankschiffe für die Weiterverteilung von Wasserstoff verboten, sodass eine Verteilung über die Flüsse und Kanäle containerisiert erfolgen muss.

Zudem muss in Hinblick auf die Derivate berücksichtigt werden, dass die Endanwendung oftmals den Transportmodus vorgeben wird, beispielsweise kann grüner Ammoniak direkt zur Düngemittelherstellung verwendet werden. Auch wenn das vielen nicht gefällt, ist in der Logik des Marktes Energieeffizienz weniger entscheidend als die Wirtschaftlichkeit.

Besteht bezüglich der Hafenflächen die Annahme, dass eine graduelle Flächenumwidmung erfolgt?

Wir haben uns die funktionale Einteilung angeschaut, also beispielsweise wo bestehende Tanklager genutzt oder umgewidmet werden könnten. Die gegenwärtigen Besitzverhältnisse wurden nicht betrachtet. Aber nicht nur die bestehende Infrastruktur spielt eine wichtige Rolle, auch Konversionsflächen sind entscheidend, wo ein Umbau stattfinden kann. Die größten Herausforderungen bringen Hafenerweiterungsflächen mit sich.

Welche Bedeutung hat der Pipeline-Import bzw. wie verhält er sich zum Schiffsimport?
Der seeseitige Import spielt noch eine untergeordnete Rolle gegenüber den Pipelines, aber die müssen zum einen erst gebaut werden und sind zum anderen eben nicht überall die Lösung für alle Versorger. Ich gehe davon aus, dass sich die künftige Versorgung aus Importen zu etwa je gleichen Teilen Pipeline- und Schiffsimporten speist. Bedeutsamer ist aber die überregionale Rolle des Standortes: Hamburg könnte im Jahr 2045 nach Deckung der lokalen Nachfrage nach Wasserstoff und seinen Derivaten zwischen 10 % und 18 % des deutschlandweiten Bedarfs an wasserstoffbasierten Energieträgern bereitstellen.

 

Sie schätzen also Hamburgs künftige Rolle als Energiehafen als maßgeblich ein?

Selbst wenn man nicht von einem quasi „planwirtschaftlichen“ Markthochlauf ausgeht, bei dem die Politik die Hubs bestimmen möchte, sondern von einem marktorientierten Aufbau von Wasserstoffzentren gemäß Angebot und Nachfrage ausgeht, wird es nur wenige Wasserstoff-Nuklei geben. Denn dafür braucht es ein Vorhandensein von Produktion, Speicherung, Verteilung, Anwendung. Wenn das alles an einem Ort vorhanden ist, sind das beste Voraussetzungen. Außer auf Hamburg trifft das auf wenige Standort zu.

Wie ist die zusätzliche Belastung für den Stadtverkehr einzuschätzen?

Im Zuge eines Commodity-Shifts der Energieträger sehen wir keine großen Belastungen. Das Selbst das Push-Szenario zeigt, dass die erwarteten Transporte im Jahr 2045 in allen Szenarien keine signifikant zusätzliche Belastung für Hamburgs Verkehrssystem darstellen würden. Der Anteil an LKW-Fahrten im Push-Szenario wird 2% des heutigen Aufkommens ausmachen. Auf der Schiene sind es 7% und auf der Binnenwasserstraße 6%.

Wie geht es weiter? Sind Folgestudien absehbar?

Das Projekt ist für uns erstmal abgeschlossen. In ein paar Jahren wäre eine Aktualisierung sinnvoll. Bei einer Nachbetrachtung wäre es spannend zu sehen, wie sich die Szenarios entwickeln.

 

Die vollständige Studie finden Sie im Transparenzportal der Stadt Hamburg.

Über Oliver Schenk

Profilbild zu: Oliver Schenk

Ich bin verantwortlich für den Bereich Marketing Wasserstoff und sorge dafür, dass die hiesigen Projekte und Formate in der Metropolregion Hamburg und darüber hinaus wahrgenommen werden. Um dem vielversprechenden Energieträger zum Durchbruch zu verhelfen unterstütze ich die Wasserstoffwirtschaft mit redaktionellen Beiträgen, Netzwerkveranstaltungen, Videoproduktionen und vielem mehr.

von Oliver Schenk