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Den Wasserstoffhochlauf aktiv gestalten
Eine Einschätzung von Dr. Steffen Bechtel, Hamburger Energiewerke, Referent Regulatorik & Grundsatzfragen.
Wann gewinnt der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft die notwendige Dynamik? Nach der anfänglichen Euphorie um den Wasserstoff und seine potenziellen neuen Geschäftsfelder befindet sich die Branche in der Zwischenzeit in einer neuen Phase. Während eine gewisse Konsolidierung zu neuen Märkten dazugehört, kann die Politik aktiv auf die dringend notwendige Dynamik hinwirken.
Im September haben BET und das EWI ihren Monitoringbericht zur Energiewende vorgestellt, den sie im Auftrag das Ministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE) als Metastudie erstellt haben. Die Erkenntnisse für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft waren keine Überraschung. Die Verwendung von Wasserstoff im Industrie- und Energiesektor ist zum Erreichen der Klimaneutralität wesentlich. Gleichzeitig liegen die Erzeugungskosten noch deutlich über der aktuellen Zahlungsbereitschaft potenzieller Kunden. Die in der 2023 überarbeiteten, nationalen Wasserstoffstrategie anvisierten 10 GW heimische Elektrolyseleistung bis 2030 sind aller Voraussicht nach nicht zu erreichen. Dieser Sachverhalt ist anzuerkennen. Interessanter ist die Frage, welche politischen Weichenstellungen sich aus dieser Erkenntnis ergeben und was diese wiederum für den Hochlauf bedeuten könnten.
Der wesentliche Rechtsrahmen für die Herstellung von Wasserstoff wird auf EU-Ebene gesetzt. Seit 2023 konkretisiert ein delegierter Rechtsakt zur Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III), wie Grüner Wasserstoff und seine Derivate (Renewable Fuels of Non-Biological Origin, RFNBO) auf die unionsweiten Ziele einzahlen. Im Wesentlichen werden dabei drei Strombezugskriterien spezifiziert, damit RFNBO als solche anerkannt werden. EE-Anlagen zur erneuerbaren Stromproduktion und der Elektrolyseur müssen dabei in derselben Gebotszone liegen. Ab 2028 gilt darüber hinaus die sogenannte Zusätzlichkeit, d.h. EE-Anlagen, die einen Elektrolyseur versorgen, dürfen maximal 36 Monate vor diesem in Betrieb gehen. Das dritte Kriterium ist die zeitliche Korrelation. Die Einspeisung der EE-Anlage in das Netz und der Bezug des Elektrolyseurs müssen im gleichen Kalendermonat stattfinden. Ab 2030 wird der Bilanzierungszeitraum dann auf eine Stunde stark eingekürzt.
Während es grundsätzlich nachvollziehbar ist, dass die EU die Wirkung der Elektrolyse im Energiesystem reflektiert, ist die aktuell geltende Regelung eher Teil des Problems als Teil der Lösung. Die Zusätzlichkeit schränkt die Ausgestaltung des Abnahmeportfolios für Betreiber von Elektrolyseuren stark ein und führt zu Planungsunsicherheiten. Die stündliche Korrelation führt zu weniger attraktiven Wasserstofferzeugungsprofilen und muss über zusätzliche Sicherheiten in der Strombeschaffung ausgeglichen werden. Außerdem reduziert die volatile Fahrweise die Lebensdauer der Elektrolyse-Stacks. Zusätzlichkeit und stündliche Korrelation erhöhen den Wasserstoffpreis signifikant und behindert somit den Hochlauf. Die Bundesregierung setzt sich für eine bessere Regelung ein, allerdings hält die EU-Kommission daran fest, den Rechtsakt nicht vor 2028 evaluieren und erst anschließend ggf. ändern zu wollen.
Am 08. Juli 2025 veröffentlichte die Kommission darüber hinaus einen weiteren Delegierten Rechtsakt mit Berechnungsvorschriften zur Anerkennung von kohlenstoffarmem Wasserstoff, der nach Ablauf der viermonatigen Einspruchsfrist jetzt in Kraft getreten ist. Auch an diesem Rechtsakt gab es breite Kritik der Branche aufgrund restriktiver Vorgaben bei Standardemissionswerten. Gleichzeitig dürfen die Anforderungen nicht zu einer Besserstellung des kohlenstoffarmen Wasserstoffs gegenüber den RFNBOs führen.
Ein weiteres Hemmnis auf Erzeugerseite ist das Thema Netzentgelte. Der §118 EnWG (Energiewirtschaftsgesetz) regelt die Netzentgeltbefreiung für Elektrolyseure, die bis 2029 in Betrieb gehen. Im AgNeS-Diskussionspapier deutet die Bundesnetzagentur an, diese vollständige Befreiung nicht weiterzuführen. Außerdem sind Baukostenzuschüsse für den Netzanschluss in der Diskussion, die für Elektrolyseure eine große unsichere Kostenposition darstellen. Auch die Befreiung von Umlagen (§25 EnFG - Energiefinanzierungsgesetz) gilt aktuell nur für Anlagen, die vor 2030 in Betrieb gehen. Es ist daher nachvollziehbar, dass weitere Investitionsentscheidungen in diesem Umfeld erst getroffen werden, wenn auch langfristigere Planungssicherheit über den regulatorischen Rahmen besteht.
Hamburg hat weiterhin gute Voraussetzungen und somit das Potenzial, ein starker Standort der Wasserstoffwirtschaft zu werden. Erste große Projekte sind in der Umsetzung und gestalten die so wichtigen ersten Schritte. Dazu gehört der Hamburg Green Hydrogen Hub, ein Joint Venture der Hamburger Energiewerke und der Luxcara, mit seinem 100 MW Elektrolyseur, der eine EU IPCEI Förderung erhält und bei Erteilung aller Genehmigungen 2027 in Moorburg in Betrieb gehen soll. Nachdem die Bestellung des Elektrolyseurs bereits in 2024 erfolgte, wurde im Oktober 2025 der Bau der Anlageninfrastruktur beauftragt. Auch das Wasserstoffindustrienetz HH-WIN der Hamburger Energienetze, das Hamburg an das Kernnetz anschließen wird, hat vor kurzem einen wichtigen Meilenstein erreicht. Auf Ebene der Regulatorik zählt zu den positiven Nachrichten, dass sich das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz im parlamentarischen Verfahren befindet und nach Inkrafttreten Genehmigungsverfahren für neue Projekte beschleunigen soll.
Um die vielbemühte Henne-Ei Problematik zwischen potenziellen Wasserstofferzeugern und -verbrauchern zu überwinden, sind, neben den oben genannten regulatorischen Anpassungen, vor allem gezielte Anreize auf der Verbraucherseite notwendig. Das Förderprogramm der Klimaschutzverträge aus dem Bundeswirtschaftsministerium ist hier eine Möglichkeit, darf aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein. In jedem Fall müssen große Summen über einen längeren Zeitraum bewegt werden, damit der Wasserstoffhochlauf gelingt.
Parallel zur Veröffentlichung des Monitorings hat das BMWE einen 10-Punkte Plan veröffentlicht. Darin heißt es, dass sich der Hochlauf zunächst auf Märkte konzentrieren soll, in denen schon jetzt Zahlungsbereitschaft besteht oder mit „verantwortbarem Aufwand“ angereizt werden kann. Die Ausbauziele der Wasserstoffstrategie werden außerdem durch flexible Ziele ersetzt, die sich an der Nachfrage orientieren.
Die Ausführungen lassen Zweifel, wie weit die Bundesregierung bereit ist zu gehen, um einen schnellen Hochlauf zu ermöglichen. Die Haushaltsdiskussionen der Bundesregierung für die kommenden Jahre und politische Priorisierungen im Zusammenhang mit der neuen Maßgabe „Kosteneffizienz“ deuten eher in eine andere Richtung. Nur, mit halbherzigen Maßnahmen kämen wir nicht wirklich voran. Vielmehr verblieben alle Akteure in ihrer abwartenden Haltung, so dass Wasserstoff auf Gaspreisniveau in weiter Ferne bleiben würde. Der Energiewende, dem Klimaschutz und der generellen Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft täten wir auf diese Weise keinen Gefallen. Die Kritik des Bundesrechnungshofs am fehlenden Erfolg der bisher gewährten Subventionen, verbunden mit der Forderung Angebot, Nachfrage und Infrastruktur synchron und wirtschaftlich aufzubauen, unterstreicht unfreiwillig genau diese Widersprüche.
Es ist vor dieser Gemengelage wichtig, dass die Branche für ihre Interessen eintritt und ihre Bedeutung für den Wirtschaftsstandort und den Klimaschutz unterstreicht.