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Dem norddeutschen Wind freien Lauf lassen – die neue PtH-Anlage in Wedel
Dank der neuen Power-to-Heat-Anlage in Wedel muss weniger Windstrom aus Norddeutschland abgeregelt werden.
Zu diesem Anlass wurde Anfang Juni 2023 die Anlage mit dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und vielen weiteren Gästen eingeweiht.
Im Juni 2023 wurde eine der deutschlandweit größten Power-to-Heat-Anlagen (PtH) in Wedel fertiggestellt. Die Eröffnung der Anlage wurde mit den für das Projekt zuständigen Kooperationspartnern 50 Hertz und den Hamburger Energiewerken sowie zahlreichen Gästen wie dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, dem Umweltsenator von Hamburg Jens Kerstan, dem Umweltminister von Schleswig-Holstein Tobias Goldschmidt und dem Bürgermeister Stadt Wedel Gernot Kaser zelebriert. 50 Hertz wurde vom Vorsitzendem der Geschäftsführung, Stefan Kapferer, die Hamburger Energiewerke von Geschäftsführerin Kirsten Fust vertreten.
Die PtH-Anlage soll zukünftig mit einer Leistung von 80 Megawatt die Wärmeversorgung von 27.000 hamburgischen Haushalten garantieren. Dank dieser Zusatzleistung können in dem noch bestehenden Heizkraftwerk in Wedel 50.000 Tonnen Kohle und somit 100.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden. Ferner müssen Windkraftanlagen in Norddeutschland seltener abgeregelt werden, da der Überschussstrom, welcher vom Stromnetz nicht mehr aufgenommen werden kann, in der PtH-Anlage direkt genutzt werden kann. Dort wird dieser in Wärme umgewandelt und in das Hamburger Stadtwärmenetz eingespeist.
Die Kosten für die Anlage in Höhe von 31,5 Millionen Euro wurden von 50 Hertz übernommen. Die Integration der Anlage in das firmeneigene Engpassmanagement soll die Amortisationsdauer auf fünf Jahre verkürzen. Von der Dekarbonisierung des Wärmesektors und der damit einhergehenden Kopplung des Wärme- und Stromnetzes ist ebenfalls der 50 Hertz Experte für PtH-Anlagen, Claus Hodurek, überzeugt. Herr Hodurek gibt in dem folgenden Interview einige Einblicke in das PtH-Projekt in Wedel und darüber hinaus.
EEHH: Seit Anfang Juni 2023 betreibt 50 Hertz die PtH-Anlage in Wedel. Beschreiben Sie bitte kurz wie die Anlagen aufgebaut ist und wie sie funktioniert?
Claus Hodurek: "Zunächst vorweg: Die Power-to-heat-Anlage in Wedel betreibt nicht 50Hertz, sondern unser kommunaler Partner, die Hamburger Energiewerke. Diese haben die Anlage auch errichtet und sind Eigentümer. Generell zur Technologie: Power-to-heat (PtH) bedeutet zunächst nur elektrische Wärmeerzeugung, hierfür gibt es verschiedene Technologien, die elektrischen Strom zu Wärme wandeln. Entscheidend sind die Medien, die die Wärme aufnehmen und transportieren. Die am weitesten verbreitete und entwickelte Technologie von Großanlagen ist der Elektrodenkessel, da wird die elektrische Leitfähigkeit des Wassers selbst zu dessen Erhitzung genutzt. Anders als bei einem Tauchsieder, bei dem eine Heizspirale zur Wärmeerzeugung verwendet wird, entsteht die Wärme direkt im Wasser. Eine solche Technologie wird auch in Wedel genutzt. Andere Technologien sind zum Beispiel elektrische Wärmepumpen, die nach dem Kompressorprinzip arbeiten oder auch Technologien, die als Wärmemedium andere Stoffe als Wasser nutzen. Der Vorteil der Elektrodenkessel ist, dass diese eine altbewährte Technologie darstellen, die auch in Fernwärmenetzen mit 'relativ' hohen Vorlauftemperaturen im großen Maßstab eingesetzt werden können. Wärmepumpen sind meist deutlich kleiner und bislang auch überwiegend für geringere Temperaturen im Einsatz."
EEHH: Sind außer 50Hertz noch weitere Partner direkt an dem Projekt beteiligt?
Claus Hodurek: "Das Projekt ist ein Gemeinschaftsprojekt von 50Hertz und den Hamburger Energiewerken. Im Vorfeld wurde außerdem mit der Stromnetz Hamburg der regionale Betreiber des Verteilungsnetzes mit einbezogen. Immerhin sind bei Redispatchmaßnahmen Leistungsänderungen von bis zu 160 MW im Verteilungsnetz zu verkraften."
EEHH: 50Hertz ist Übertragungsnetzbetreiber, die Erzeugung und Bereitstellung von Wärme gehört normalerweise nicht zu Ihrem Geschäftsmodell. Gleichwohl betreibt 50 Hertz mittlerweile mehrere PtH-Anlagen. Was war/ist die Motivation von 50 Hertz PtH / PtX-Anlagen zu betreiben und wie/warum ist der Betrieb von PtH-Anlagen mit den regulatorischen Vorgaben vereinbar?
Claus Hodurek: "50Hertz ist in keinem der Fälle Betreiber der PtH-Anlagen, das überlassen wir den professionellen Betreibern der Wärmeversorgung vor Ort. Unsere Motivation als Übertragungsnetzbetreiber uns in solchen Kooperationen zu engagieren, ist aber einfach erklärt: Es gibt immer wieder Phasen, in denen mehr Strom erneuerbar erzeugt als in der Region verbraucht wird. Wenn dann zusätzlich die für den Transport benötigte Kapazität nicht ausreichend vorhanden sind, muss die Einspeisung gedrosselt werden. Im Falle von Wind und Sonne ist das ärgerlich, da keine laufenden Betriebskosten aus Brennstoffen entstehen, für die Drosselung aber Entschädigungen zu zahlen sind. Gleichzeitig laufen in der Nähe Kraftwerksanlagen zur Wärmeversorgung und erzeugen dabei auch elektrischen Strom, da liegt es nahe, diese Kraftwerke abzustellen und den überschüssigen Wind- und Sonnenstrom in einer PtH-Anlage in die benötigte Wärme umzuwandeln, die sonst diese Kraftwerke liefern würden. Mit der Energierechtsnovelle 2017 hat uns der Gesetzgeber die Tür geöffnet, den Bau solcher Anlagen zu finanzieren, wenn damit die Einspeisung der Erneuerbaren nicht mehr so häufig oder so stark gedrosselt werden muss. Alle reden über Sektorenkopplung, wir haben mit diesen Projekten den ersten Schritt in diese Richtung vollzogen. Da der Auftrag per Gesetz vom Souverän kam, ist das auch mit den regulatorischen Vorgaben vereinbar."
EEHH: Wer ist Abnehmer der Wärme und wird die Wärme von 50 Hertz direkt an diesen Abnehmer verkauft?
Claus Hodurek: "Die Wärme aus den PtH-Anlagen ersetzt im Prinzip die Wärme aus der KWK-Anlage, die Hamburger Energiewerke erfüllen also ihre Lieferverpflichtungen zur Wärmelieferung an ihre vielen industriellen, gewerblichen und privaten Kunden. 50Hertz stellt praktisch nur den Strom bereit, um die Wärme zu erzeugen."
EEHH: Wie viele Betriebsstunden und wie viele Volllaststunden pro Jahr schätzen Sie, wird die Anlage in Wedel erreichen?
Claus Hodurek: "Für die Anlage in Wedel wurde im Rahmen der volkswirtschaftlichen Prüfung eine Vollbenutzungsstundenzahl von etwa 850 Stunden ermittelt. Das hört sich wenig an, die eigentliche Benutzungsstundenzahl liegt aber deutlich darüber, da nicht immer die volle Leistung von 80 MW genutzt wird."
EEHH: Der Strommarkt wandelt sich immer mehr zu einem Markt mit hohen Anteilen volatiler erneuerbarer Energien. Das stellt hohe Anforderungen an die Netzbetreiber im Hinblick auf die Netzstabilität. Sehen Sie in Anwendungen wie PtX eine sinnvolle Option der Systemintegration erneuerbarer Energien bzw. der Netzdienlichkeit?
Claus Hodurek: "Sektorenkopplung ist an der richtigen Stelle immer eine vernünftige Lösung, um schwankende Einspeisungen und Stromverbrauch besser zu synchronisieren. Die Sektorenkopplung in der Nähe der Erzeugung wird in den kommenden Jahren voraussichtlich deutlich zunehmen. Wenn Sie so wollen, nehmen wir hier also schon Fahrt für diese Entwicklung auf."