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„Das Netz ist die Grundvoraussetzung für das Wasserstoffökosystem in Hamburg“ Interview mit Gasnetz Hamburg zu HH-WIN
Gasnetz Hamburg hat am 15. Juli den Förderbescheid über 126 Millionen Euro für das Hamburg Wasserstoff-Industrienetz (HH-WIN) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erhalten. Stefanie Höfs, Geschäftsbereichsleitung Asset Management und Wasserstoff, erklärt den Stand dieses einzigartigen Projektes und die kommenden Schritte.
Moin Frau Höfs, bitte erklären Sie kurz was und für wen das Hamburg Wasserstoff-Industrienetz ist.
HH-WIN ist ein eigenständiges Verteilnetz von zunächst 40 Kilometern Länge im Hamburger Süden, das energieintensive Unternehmen ab 2027 mit Wasserstoff versorgen wird. In Phase zwei wächst es auf 60 Kilometer Leitungslänge, wofür die technische Vorplanung bereits läuft. Das Dekarbonisierungspotenzial bei der Grund- und Rohstoffindustrie ist im Hamburger Hafen besonders hoch: In Phase eins können bereits 580.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden, in Phase 2 werden es ab 2031 perspektivisch sogar bis zu 1,4 Millionen Tonnen sein.
Sie haben kürzlich den Förderbescheid des Bundes erhalten. Wo stehen Sie aktuell und was sind die nächsten Schritte?
Die Übergabe des Förderbescheids ist ein Riesenerfolg für unser Unternehmen, den wir entsprechend gefeiert haben. Ein fachübergreifendes Team hat über drei Jahre daran mitgearbeitet und diverse Fragestellungen beleuchtet - eine Herkulesaufgabe. Einen vergleichbar aufwendigen Prozess hatten wir noch nie zuvor, was ungekannte Anforderungen für uns bedeutet hat.
Die Planungsprozesse sind zwischenzeitlich vorangeschritten und auch die erste europaweite Ausschreibung an unsere Subunternehmer ist auf dem Markt. Für uns ist im weiteren Vorgehen wichtig, dass wir die Fördermittel nun abrufen dürfen – das bedeutet für uns finanzielle Sicherheit und Planungssicherheit für unsere Kunden. Die Handbremse ist also gelöst und wir widmen uns der Einholung von Genehmigungen und intensivieren unsere Ausschreibungen.
Der offizielle Baustart ist für Mitte August dieses Jahres geplant, jedoch hatte uns das Bundeswirtschaftsministerium schon Ende Juli 2022 vor der EU-Notifizierung einen vorzeitigen Maßnahmenbeginn genehmigt. Dadurch konnten wir bereits kleine Vorverlegungen realisieren, z. B. dort, wo anderweitige Baumaßnahmen erfolgt sind. Das hat zur Folge, dass an diesen Orten nun nicht zweimal gebaut werden muss und sich die Einschränkungen für Verkehr und Anlieger in Grenzen halten. Größere neue Baustellen werden zwischen Waltershof und Altenwerder sowie an der Moorburger Straße/Seehafenstraße und in der Straße Am Radeland noch in diesem Jahr beginnen. Weitere große bauliche Vorhaben beginnen in den beiden Folgejahren – die Abschnitte durch Harburg und den Anschluss an das Wasserstoff-Kernnetz im niedersächsischen Leversen bauen wir planmäßig ab 2025, ebenso starten die Baumaßnahmen für den Anschluss an den Hamburg Green Hydrogen Hub in Moorburg ab 2025. Die Förderbedingungen sehen eine Fertigstellung bis 2027 vor, weshalb wir bis dahin den Anschluss an das Fernleitungsnetz und den Großelektrolyseur gewährleisten müssen.
Insgesamt unterteilen wir unser Startnetz in vier große Abschnitte: In Abschnitt A Richtung Finkenwerder liegen Aluminium- und Luftfahrtindustrie. Abschnitt B nahe der A7 deckt Hafenlogistik, Stahl und Seeimporte ab. Abschnitt C steht für die Anbindung zwischen Hafen und Wasserstoff-Fernleitungen bei Leversen. Und mit Abschnitt D werden wir Raffinerie- und Chemiestandorte in Richtung Harburg erschließen.
Welche Ausbaupläne gibt es über das Startnetz hinaus?
Die weiteren 20 Kilometer planen wir bereits östlich der Süderelbe. Aber auch weitere Netz-Cluster außerhalb des Hafens sind perspektivisch vorgesehen. So können ab etwa 2030 noch weitere Industriegebiete Hamburgs Anschluss an grünen Wasserstoff erhalten.
Gibt es irgendwo ein vergleichbares Verteilnetz, von dem Sie sich etwas abschauen konnten?
Das Einzigartige am Hamburger Wasserstoffökosystem ist die räumliche Gleichzeitigkeit von Import, Erzeugung und großen Abnehmern – Sie finden also die gesamte Wertschöpfungskette auf kleinem Raum. Dafür ist das Netz die Grundvoraussetzung. Andernorts gibt es Arealnetze, die bedingt als Präzedenz taugen. Wir sind allerdings in unserer Planung sehr transparent – auch das ist Teil der Förderbedingungen – und im Austausch mit anderen Netzbetreibern. Es wird über die gesamte Dauer Workshops und Austauschformate geben, weshalb wir davon ausgehen, dass Hamburg für andere Standorte Modellcharakter haben wird.
Bedeutet der Netzbau Einschränkungen für die Hamburgerinnen und Hamburger? Wie muss man sich die Bauarbeiten vorstellen?
Wir möchten natürlich die Belastung für Verkehr sowie Anliegerinnen und Anlieger so gering wie möglich gehalten und stimmen uns eng mit den zuständigen Behörden ab. Nach Möglichkeit gehen wir beim Leitungsbau in die Nebenflächen statt in die Straßen und setzen neue Techniken wie Mikrotunnel ein. Man darf zudem nicht vergessen, dass wir hauptsächlich in Gewerbegebieten bauen, in denen kaum Hamburgerinnen und Hamburger wohnen.
Können Sie einige technische Details nennen?
Auf dem Gebiet von HH-WIN gibt es n unserem städtischen Erdgasnetz keine Redundanzen, es gibt also keine Abschnitte, die wir für Wasserstoff umwidmen können. Wir müssen in dieser frühen Phase praktisch alles neu bauen, da eine Parallelversorgung mit Erdgas und Wasserstoff aktuell unumgänglich ist. Wir legen Rohre mit den Durchmessern DN 200 bis DN 500, also 20 bis 50 Zentimeter. Das sind wasserstoff-zertifizierte Stahlleitungen mit Drücken von maximal 25 bzw. stellenweise maximal 70 bar auf dem Anschlussstück zum Wasserstoff-Fernleitungsnetz. Wir rechnen mit drei TWh/a an potenzieller transportierter Energiemenge in Phase eins, 6,4 TWh/a sind es in Phase zwei. Zum Vergleich: Der Erdgasverbrauch ganz Hamburgs lag vor der Energiekrise bei 21 TWh/a.
Was muss ein Unternehmen tun, um einen Anschluss an das Netz zu erhalten?
HH-WIN werden wir – genau wie das Erdgasnetz - diskriminierungsfrei betreiben. Das heißt prinzipiell: Wer im Netzgebiet Wasserstoff benötigt oder einspeisen will, kann angeschlossen werden. In den meisten Fällen müssen bei unseren Kunden Druckregelanlagen errichtet werden, deren Planung und Bau wir ebenfalls übernehmen. Über die Webseite von HH-WIN finden interessierte Unternehmen direkt zum H2-Kundenservice: www.gasnetz-hamburg.de/hh-win
Gibt es darüberhinausgehende Pläne für den Einsatz von Wasserstoff im Gasnetz?
Aufgrund der aktuellen technologischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen wird Wasserstoff zunächst und vorrangig für die Dekarbonisierung industrieller Anwendungen eingesetzt werden. Die Rolle von Wasserstoff in der Gebäudewärmeversorgung ist aus diesen Gründen daher aktuell begrenzt, aber wir evaluieren sie regelmäßig. Daher treiben wir aktuell auch das Projekt H₂-SWITCH100 voran. Dafür haben wir einen repräsentativen Abschnitt unseres Erdgasnetzes in Hamburg-Heimfeld ausgewählt, den wir aktuell auf seine Umstellbarkeit auf Wasserstoff hin untersuchen. In dem Pilotgebiet gibt es 16 Anschlüsse, darunter 14 Haushalte sowie gewerbliche Anschlüsse. Ein Sachverständiger bewertet derzeit die Wasserstoff-Tauglichkeit dieses Netzes sowie den Umrüstungsaufwand, Ende dieses Sommers werden Ergebnisse erwartet. Dann wissen wir mehr über die Machbarkeit und den Aufwand einer etwaigen Umstellung. Die Leitungen sind aus diversen Baujahren und bestehen aus unterschiedlichen Materialien, weshalb wir umfassende Erkenntnisse erhalten, die weitläufig auf unser Netz übertragen werden könnten. Sollten wir das Projekt weiter umsetzen, je nach Urteil des Sachverständigen, wird das Gebiet nach Umstellung für den Betrieb mit Wasserstoff erprobt; dies erfolgt entweder durch einen Anschluss an HH-WIN bzw. mittels Flaschenbündeln zur Wasserstoffversorgung. Eine solche Lösung könnte in einigen Jahren unter bestimmten Standortbedingungen wie beispielsweise baulichen Hürden oder mangelnder Möglichkeit zu energetischer Sanierung eine Versorgungs-Option darstellen, wenn keine Netzrestriktionen bestehen und sich beispielsweise Ankerkunden im Umfeld befinden. Ich will aber nicht verhehlen, dass derzeit schwer abzuschätzen ist, ob und welche Rolle Wasserstoff in der Wärmeversorgung spielen wird. Unser Fokus liegt daher klar auf der Versorgung der Industrie und Gewerbe bzw. der Nah- und Fernwärmeerzeugung.
Was ist aus Ihrer Sicht kritisch für die erfolgreiche Umsetzung des Projektes?
Entscheidend ist für uns, dass die notwendigen Genehmigungen schnell erteilt werden, damit wir die für die Förderfähigkeit erforderlichen Termine einhalten können. Was für das Projekt spricht, ist dass es als Wasserstoffinfrastrukturprojekt von überragendem öffentlichem Interesse ist, was ein vorrangiges Abarbeiten seitens der Genehmigungsbehörden ermöglicht und erforderliche Güterabwägungen erleichtert. Zudem sind wir auf viele Dienstleister aus dem Tief- und Leitungsbau angewiesen. Das ist auch ein gewisser Flaschenhals, da viele Unternehmen in den kommenden Jahren Großprojekte bauen. Unser Vorteil: Bei uns haben entsprechende Anbieter die Chance, an der H2-Zukunft mitzuarbeiten und für sich wichtige Referenzen aufzubauen.
Welche Herausforderungen bringt das Handling von Wasserstoff für Ihr Mitarbeitenden im Vergleich zu Erdgas?
Eine Gasleitung bleibt letztlich eine Gasleitung. Einen gewissen Aufwand haben wir mit den neuen Prüfmethoden und -geräten, Schulungen laufen bereits. Das gültige fachliche Regelwerk wird vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) entwickelt, mit dem wir im engen Austausch arbeiten.
Wie werden die Netzentgelte in der Startphase umgelegt?
Über die IPCEI-Förderung hinaus haben wir einen Antrag auf Aufnahme in das 9700 Kilometer lange Kernnetz gestellt. Für dieses gilt deutschlandweit ein einheitliches gedeckeltes Netzentgelt. Das Amortisationskonto des Bundes gewährleistet dabei schon während des Markthochlaufs einen wirtschaftlichen Netzbetrieb. Und gleichzeitig für die ersten Wasserstoffkunden einen wettbewerbsfähigen Preis für die Nutzung der Infrastruktur für Phase eins und zwei und darüber hinaus.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei der nicht absehbaren Liquidität des anfänglich kleinen Wasserstoffmarktes Hamburg im praktischen Betrieb? Inwiefern können fluktuierende Gasmengen ein Problem sein?
Wir haben uns natürlich auch mit diesem Thema befasst: Die Wasserstoffwirtschaft wird grundsätzlich ein Netzmanagement unter Einbeziehung von Speicherbetreibern, Kunden und Einspeisern brauchen. Für die Gasnetz Hamburg liegt hierin ein weiterer Grund, weshalb die Anbindung an das Kernnetz so wichtig ist: Die Importmöglichkeiten und Elektrolyse-Kapazitäten machen HH-WIN zu einem dynamischen Element am vorgelagerten Netz, da wir sowohl ein- als auch rückspeisen werden. Bei Gas hat dieser Verbund den Vorteil, dass es kurzfristig eine höhere Netzatmung gibt als beispielsweise im Stromnetz – also volatil wechselnde Lasten und Drücke in begrenztem Umfang kein Problem darstellen. Die erweiterte Pufferungsoption ins Kernnetz macht uns noch flexibler. Je nachdem, wie sich Einspeisung bzw. Seehafenimporte von Wasserstoff in unser Netz in Zukunft entwickeln, kann Hamburg in Zukunft auch Netto-Einspeiser ins Kernnetz werden. Die Anbindungsleitung ist mit Verdichtern und Druckregelanlagen entsprechend auf eine Laststromumkehr ausgelegt. Die Zuverlässigkeit und die Sicherheit des Netzbetriebs stehen dabei nicht in Frage.
Wie können Sie Anbieter und Abnehmer unterstützen, zusammenzufinden?
Wir nehmen keinen Einfluss auf den Energiehandel, aber durch unsere Mitarbeit in den Verbänden wirken wir am Wasserstoff-Marktdesign mit. In erster Linie ist hier aber die Politik in der Verantwortung, ein gutes Marktdesign zu schaffen, das einen wirtschaftlich attraktiven Handel erlaubt.