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Bringt der Hamburger Kohleausstieg die Wärmewende? Ein Gastbeitrag von Robert Doelling, Energie-Experten.org

Wir freuen uns, dass in dieser Woche der Blogger Robert Doelling von Energie-Experten.org seine Einschätzung der Hamburger Wärmewende abgibt. Es handelt sich nicht um eine offizielle EEHH-Position.

Bringt der Hamburger Kohleausstieg die Wärmewende?

Seit dem 5. Juni 2019 ist der Hamburger Kohleausstieg Gesetz. Die rot-grüne Koalition verpflichtet Hamburg damit gesetzlich, bis 2030 den Einsatz von Kohle in der städtischen Fernwärmeerzeugung sukzessive auf Null zu reduzieren. "Zudem ist sie verpflichtet, die Potentiale für erneuerbare Wärme zu nutzen, sobald sie sich bieten", so die Initiative "Tschüss Kohle", die im Sommer 2018 mehr als 22.484 Unterschriften für den Gesetzentwurf zum Kohleausstieg eingereicht und somit das Hamburger Kohleausstiegsgesetz initiiert hatte.

Der Erfolg der Volksinitiative "Tschüss Kohle" ist unbestritten. Denn im März 2018 - also vor den massiven Protesten im Hambacher Forst und weit vor der „Fridays for Future“-Bewegung - die Hamburger nach den Volksentscheiden im September 2013 zur Rekommunalisierung des Strom-, Gas- und Fernwärmenetzes erneut für den städtischen Klimaschutz zu aktivieren, gebührt Respekt. Dass es noch bis 2030 dauert, obwohl Umweltsenator Jens Kerstan schon 2018 den Kohleausstieg bei der Wärme für die Zeit „ab Mitte des nächsten Jahrzehnts“ angekündigt hatte, und der Kohleausstieg auch nur die Wärmeversorgung betrifft, schmälert diesen Erfolg nicht. Denn, ob dieser Zeitplan ohne gesetzliche Grundlage wirklich eingehalten worden wären, ist mehr als fraglich.

Zudem gibt es viel zu tun: Denn Hamburgs Klimabilanz ist katastrophal. Der Strombereich wird fast vollständig vom Kohlekraftwerk in Moorburg dominiert. An nicht wenigen Tagen in 2018 wurde Hamburg fast vollständig mit Kohlestrom versorgt. Laut Statistikamt Nord stammten 2016 und 2017 nur knapp fünf Prozent der gesamten Hamburger Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. 2019 wird das vermutlich nicht wesentlich anders aussehen.

Auf dem Fernwärmemarkt, der von fünf Anlagen dominiert wird, sieht es ähnlich aus. Die Fernwärmebilanz wird hier von den Kohlekraftwerken Wedel und Tiefstack vermiest. Der Brennstoffeinsatz in der Hamburger Fernwärme ist durch den mit annähernd rund 70% sehr hohen Anteil an Steinkohle gekennzeichnet. Lediglich durch die Verbrennung des als biogen klassifizierten Siedlungsabfalls „erschummelt“ sich Hamburg hier einen Anteil erneuerbarer Energien von etwa 8%.

Dies zu ändern, liegt aber mit dem Kohleausstiegsgesetz nun in Händen der Hamburger Politik. Denn mit dem Fernwärmenetz hat Hamburg auch die Kohlekraftwerke Wedel und Tiefstack übernommen und kann somit direkt über deren Abschaltung bzw. Umrüstung entscheiden. Eine Umstellung bzw. Schaffung von regenerativen Ersatzkapazitäten bis 2030 sollte dann lediglich ein finanzielles Problem sein.

Der Wärmebedarf, der nicht mit Fernwärme gedeckt wird, lässt sich aber nicht so leicht auf Erneuerbare umstellen. Denn wer jetzt eine Heizung installiert, der wird damit auch die nächsten mindestens 20 Jahre heizen. Und dieser Wärmebereich ist in Hamburg alles andere als grün: Rund 75% der dezentralen Wärmeerzeugung in Hamburg basiert auf Erdgas und Heizöl. Nur etwas mehr als 20% stammt aus der Fernwärme. Erschwerend kommt hinzu, dass die vom Hamburger Senat angestrebte Reduzierung des Wärmebedarfs der Wohngebäude um etwa 2/3 mit dem bestehenden Sanierungstempo drastisch verfehlt wird.

Zudem erfordert die Wärmewende in der dezentralen Hamburger Wärmeversorgung einen Systemwechsel: Wie das Hamburg Institut in ihrer Studie "Erneuerbare Energien im Fernwärmenetz Hamburg" im Dezember 2017 festhält, werden "dezentral an Gebäuden betriebene Wärmepumpen auf Basis von Grünstrom in Kombination mit Solarthermie voraussichtlich die wichtigste Alternative zu einer netzgebundenen Wärmeversorgung darstellen, um einen hohen Anteil Erneuerbarer Energien in der Wärmeversorgung zu erreichen. Demgegenüber werden andere Technologien zur dezentralen Nutzung von Erneuerbaren Energien voraussichtlich nicht in der Breite zum Einsatz kommen. Dies gilt insbesondere für Stromdirektheizungen, die Verbrennung von synthetischem Erdgas oder Biogas sowie feste Biomasse in Heizungsanlagen."

Diese Einschätzung bestätigt auch die Deutsche Energie-Agentur (dena): In der "dena-Leitstudie Integrierte Energiewende" kommt die Deutsche Energieagentur (dena) zu dem Ergebnis, dass je nach dem Grad der Elektrifizierung bis 2050 im "Technologiemixszenario" mindestens 6,5 Millionen Wärmepumpen und im "Elektrifizierungsszenario" sogar mindestens 16 Millionen Wärmepumpen in Deutschland notwendig sind, um den Gebäudebestand weiter zu dekarbonisieren. 2018 schätzt die dena den Bestand auf nur rund eine Million Wärmepumpenheizungen.

Während die Wärmepumpe im Neubau mittlerweile Standard ist - 2018 erreichte die Wärmepumpe laut BWP den ersten Platz bei der Betrachtung aller genehmigten Gebäude - etablieren sich auch spezielle Wärmepumpen-Lösungen für den Hamburger Altbaubestand. Dazu zählen u.a. auch Eisspeicher-Lösungen, die aufgrund ihres geringeren Platzbedarfes auch in dichter bebauten Wohngebieten nachträglich eingesetzt werden können. Wie das geht zeigt eine der größten Eisspeicher-Heizungen in Hamburg-Wilstorf. Dieses Beispiel zeigt zudem, dass sich solche Projekte auch finanziell lohnen. Der Eisenbahnbauverein Harburg konnte hiermit die Kosten für Heizung und Warmwasser um durchschnittlich 50 Prozent senken.

Auch eine Grünstromversorgung scheint anteilig möglich, denn Hamburg besitzt eine für Solarstrom-Anlagen nutzbare Dachfläche von etwa 12 km2. Und auch trotz Hamburgs Lage in der norddeutschen Tiefebene lässt sich genügend Solarstrom ernten: Eine Photovoltaik-Anlage in Hamburg kommt jährlich auf gut 800 kWh pro installiertem Kilowatt Peak Solarstrom. Zum Vergleich: Der bundesdeutsche Durchschnitt beträgt rund 930 kWh/kWp pro Jahr.

Fazit: Der Hamburger Kohleausstieg ist ein Erfolg. Er bringt aber mitnichten die Wärmewende. Denn während die Fernwärme in Hamburg nur zu einem Fünftel zur Wärmeversorgung beiträgt, ist die dezentrale Wärmeversorgung das eigentliche Problem. Dieses Problem ist aber lösbar, wenn die Hamburger Politik jetzt auch in diesem Bereich die nötigen Weichen für die Zukunft stellt. Es bleibt zu hoffen, dass es hierfür nicht wieder einer Volksinitiative bedarf!

Hinweis: es handelt sich bei diesem Beitrag nicht um eine offizielle EEHH-Position.

Über den Autor

Profilbild zu: Robert Doelling

Robert John Doelling, Jahrgang 1976, hat Marketing an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel studiert und ist Autor des Fachbuches "Information Performance – Wie aus Kunden die besten Vertriebspartner Ihres Unternehmens werden". Nach mehreren Jahren im Marketing und der Projektentwicklung im Bereich Geothermie leitet Robert Doelling heute die Social Media-Aktivitäten bei der DAA Deutsche Auftragsagentur GmbH in Hamburg. Privat engagiert sich Robert Doelling als Energieblogger für eine offene und vorurteilsfreie Kommunikation der unterschiedlichsten Facetten der Energiewende.

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