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Algenfarmen in Offshore-Parks Interview mit Tim Wilms, Bioscience Expert bei Vattenfall

Das Meer ist groß, aber es wird zunehmend eng - Schifffahrt, Stromerzeugung, Nahrungsmittelproduktion und Artenschutz konkurrieren um die Fläche. Vattenfall erforscht im Projekt Wind Energy and Nature-based solutions integrated at sea wie Offshore-Mehrfachnutzung am besten funktioniert.

EEHH: Lieber Herr Wilms, erzählen Sie uns bitte etwas über Ihren beruflichen Hintergrund und das Ziel des Projekts „WIN@Sea“.

Tim Wilms: „Ich komme ursprünglich aus den Niederlanden und habe Meeresbiologie studiert. Meine Promotion habe ich an DTU Aqua, der Technischen Universität Dänemark, abgeschlossen. In meiner Doktorarbeit habe ich mich mit der Wiederherstellung und Überwachung von Steinriffen in dänischen Gewässern beschäftigt. Neben Steinriffen interessiere ich mich auch für Offshore-Strukturen – wie Öl- und Gasplattformen oder Offshore-Windparks – und deren potenziellen Nutzen für die marine Biodiversität. Derzeit arbeite ich als Bioscience Expert bei Vattenfall und beschäftige mich mit Themen rund um marine Biodiversität, Fisch- und Benthoslebensräume – und unterstütze diese Projekte von der Bauphase bis zur Stilllegung unserer Offshore-Windparks.

An dem Projekt „WIN@Sea“ – kurz für „Wind Energy and Nature-based solutions integrated at sea“ –  ist Vattenfall gemeinsam mit der Universität Aarhus Vattenfall, der DTU Aqua, die Universität Kopenhagen, den Algenproduzenten Kerteminde Seafarm und das öffentliche Aquarium Kattegatcentre beteiligt. Gemeinsam erforschen wir, wie Algen und Muscheln innerhalb eines Offshore-Windparks kultiviert werden können. Dieses Konzept, das wir auch als „Multi-Use“ bezeichnen, erhielt diesen Sommer besondere Aufmerksamkeit durch unsere Kommunikationskampagne mit dem amerikanischen Schauspieler Samuel L. Jackson. Er wirbt in Werbespots für Algensnacks – eine Zutat, die in Asien weit verbreitet ist, in Europa jedoch noch relativ neu.“

 

EEHH: Das klingt sehr außergewöhnlich! Wie ist dieses Projekt entstanden?

Tim Wilms: „WIN@Sea ist eines von drei Pilotprojekten im EU-finanzierten Projekt OLAMUR, das von 2023 bis Ende 2026 läuft. In diesem Projekt arbeitet ein breites Konsortium von Partnern zusammen, um unser Wissen und unsere Erfahrungen mit der Mehrfachnutzung des Meeresraums zu erweitern. Mit dieser außergewöhnlichen Zusammenarbeit wollen wir das Potenzial moderner Windparks aufzeigen: Sie erzeugen nicht nur fossilfreien Strom, sondern können auch zur nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion und zur Regeneration mariner Ökosysteme beitragen. Das ist wichtig, denn in naher Zukunft wird uns wahrscheinlich der benötigte Raum auf See fehlen – insbesondere in der Nordsee –, um alle gesellschaftlichen Anforderungen zu erfüllen (einschließlich Schifffahrt, Nahrungsmittelproduktion, Energie und Naturschutz). Daher müssen wir klug überlegen, wie wir den verfügbaren Raum offshore am effektivsten nutzen können.

Vattenfall ist in dem Projekt als Arbeitspaketleiter für Sicherheit und Logistik beteiligt. Unser Hauptaugenmerk liegt darauf, sicherzustellen, dass alle Offshore-Aktivitäten im Projekt den Gesundheits- und Sicherheitsprotokollen von Vattenfall für Offshore-Umgebungen entsprechen. Am Ende des Projekts werden wir alle Herausforderungen und Erkenntnisse zusammentragen, um Leitlinien für die Offshore-Mehrfachnutzung für andere Meeresnutzer zu erstellen – mit dem Ziel, eine Skalierung in naher Zukunft zu unterstützen. Neben der Weitergabe unserer Expertise im Bereich Gesundheit und Sicherheit stellt Vattenfall auch den Demonstrationsstandort bereit, an dem alle Hauptaktivitäten von WIN@Sea stattfinden.“

 

EEHH: Auf welche Windparks konzentrieren Sie sich konkret? Was sind die größten Herausforderungen?

Tim Wilms: „Die ersten beiden Wachstumsphasen von Algen und Muscheln fanden im dänischen Windpark Kriegers Flak (DKF) statt – derzeit der größte Windpark Skandinaviens, etwa 15 km östlich der Insel Møn gelegen. Zu den wichtigsten Kriterien bei der Standortwahl gehörten die Schiffsaktivität, die Standortbedingungen und -merkmale (Wellen, Strömungen, Sedimenttyp) sowie die Entfernung zur Küste. All diese Bedingungen wurden am Standort Kriegers Flak sehr gut erfüllt, der zudem in der Nähe des Vattenfall-Betriebsstandorts Klintholm liegt.

Zwei der größten Herausforderungen beim Algenanbau in Kriegers Flak waren der Schiffsverkehr und die Umweltbedingungen vor Ort. Obwohl der Standort innerhalb des Windparks aufgrund des geringen Schiffsverkehrs ausgewählt wurde, kam es dennoch zu mehreren Kollisionen von Schiffen mit den Strukturen, was zum Verlust von Algenleinen und Ausrüstung während der beiden Wachstumsphasen führte. Dies verdeutlichte die Notwendigkeit einer besseren Sichtbarkeit der Strukturen und eines größeren Bewusstseins anderer Meeresnutzer für die verschiedenen Aktivitäten innerhalb des Windparks.

Darüber hinaus stellte der niedrige Salzgehalt am Standort DKF eine große Herausforderung dar. Einige der verwendeten Algenarten, insbesondere Zucker-Kelp, wachsen unter solchen Bedingungen nicht gut. Dies führte zu einer sehr geringen Biomasse bei der Ernte. Daher wurde das Projekt Ende 2024 auf einen zweiten Demonstrationsstandort ausgeweitet: den Windpark Vesterhav Syd in der dänischen Nordsee, um durch die dort günstigeren Salzgehalte bessere Algenerträge zu erzielen.“

 

EEHH: Sie erwähnten die Werbekampagne mit Samuel L. Jackson – spielt Öffentlichkeitsarbeit eine wichtige Rolle im Projekt „WIN@Sea“? Welche weiteren Aktivitäten werden durchgeführt?

Tim Wilms: „Unbedingt – wir möchten dieses neue Thema der breiten Öffentlichkeit näherbringen. Unser Projektpartner, das Kattegatcentre, ist stark in der Öffentlichkeitsarbeit engagiert, um die Bevölkerung über die Vorteile von Algen und die Bedeutung der Mehrfachnutzung zu informieren. Sie veranstalten beispielsweise jährliche Familienevents im Aquarium, darunter Kochkurse mit Fokus auf Algen und Muscheln sowie Sommercamps, in denen Kinder zu „Blue Agents“ – also Hütern der Ozeane – ausgebildet werden. Außerdem haben sie ein Dilemma-Brettspiel für Jugendliche entwickelt, das sie mit Fragen zur klugen Nutzung des Meeresraums konfrontiert.

Ein entscheidender Faktor für die Skalierung des Algenanbaus offshore wird die Akzeptanz von Algen als Zutat in unserer täglichen Ernährung sein, die viele gesundheitliche Vorteile bieten kann. Die meisten Menschen unterschätzen Algen als gesunde Nahrungsquelle. Ich persönlich finde sie köstlich (lächelt).“

 

Weitere Informationen zu den Windpark-Algensnacks und der Zusammenarbeit mit Samuel L. Jackson finden Sie unter https://group.vattenfall.com/windfarmed

Infografik WIN@sea © Vattenfall

Im Interview

Tim Wilms

Der Niederländer studierte Meeresbiologie und promovierte an der DTU Aqua, der Technischen Universität Dänemark. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Wiederherstellung und Überwachung von Steinriffen in dänischen Gewässern. Derzeit arbeitet er als Bioscience Expert bei Vattenfall und befasst sich mit Themen rund um marine Biodiversität, Fisch- und Benthoslebensräume – und unterstützt diese Projekte von der Bauphase bis zur Stilllegung unserer Offshore-Windparks.

Vattenfall. Foto: 27 Kilometer Entertainment, Hamburg

Über Astrid Dose

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Reden, schreiben und organisieren – und das mit viel Spaß! So sehen meine Tage beim EEHH-Cluster aus. Seit 2011 verantworte ich die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing des Hamburger Branchennetzwerkes. Von Haus aus bin ich Historikerin und Anglistin, mit einem großen Faible für technische Themen.

von Astrid Dose